Mit Tempo 100

■ Familiäre Erinnerung an den Schauspieler Alexander Granach

Das Zeughaus-Kino widmet in diesem Monat die Reihe „Filmexil – Exilfilm“ dem am 14. März 1945 in New York gestorbenen Schauspieler Alexander Granach. Eingeladen ist auch dessen Sohn Gad Granach, der 1936 nach Palästina emigrierte. Anläßlich der Aufführung von Fritz Langs „Hangman also Die“ am 2. April im Martin-Gropius- Bau wird Ronny Loewy ein Publikumsgespräch mit Gad Granach führen. Die folgenden Erinnerungen Gad Granachs wurden aufgezeichnet von Sylke Tempel.

„Als mich die Akademie der Künste zur Eröffnung des Alexander-Granach-Archivs nach Berlin eingeladen hatte, bin ich auch mit ein paar Freunden nach Ostberlin gefahren. An der Grenze studierte eine ältere, sehr streng aussehende Polizistin lange meinen israelischen Paß. „Granach“, sagte sie schließlich, „sind Sie verwandt mit dem Schauspieler Alexander Granach?“ Mein Freund Jeschajahu hat gleich durch den ganzen Bus geschrien: „Sie kennen seinen Vater, sie kennen seinen Vater.“

Ich habe Vater erst kennengelernt, als ich schon fünf Jahre alt war. Als ich zur Welt kam, war er zur österreichischen Armee eingezogen. Ich sehe noch seine Mütze und das Bajonett an der Seite, das hat mir einen Rieseneindruck gemacht. Mutter stellte ihn vor: „Sag deinem Vater Guten Tag.“ Und ich sagte: „Wat denn, wat denn, det soll Vatta sein?“ Das fanden alle ganz witzig und großartig.

Vater war bekannt als Frauenheld. Er hatte immer irgendwelche Schauspielerinnen im Schlepptau. Aber geliebt hat er die Bergner. Er war es, der Elisabeth Bergner nach Berlin holte, er war ja damals schon bekannt und konnte sich einiges leisten. Wenig später hat die Bergner meinen Vater wegen Heinrich George sitzenlassen. Meiner Mutter hat das natürlich gefallen. Die Bergner war ein Aas, und sie war wundervoll, jeder hat sie geliebt. Ich auch.

Manchmal hab ich mich ein bißchen für ihn geschämt, weil er so angegeben hat. Ich erinnere mich noch gut, als er mich mit seinem offenen Chevrolet mitgenommen hat. Mit Tempo 100 – das war etwas Besonderes, das habe ich hinterher sogar in der Schule erzählt – haben wir auf der Avus Emil Jannings überholt. Vater winkte zu Janning rüber wie der englische König. Aber er war auch ein Anarchist, und in einem solchen anarchistischen Zirkel im Scheunenviertel, wo er als 16jähriger nach seiner Ankunft aus Polen wohnte, hatte er ja auch meine Mutter kennengelernt.

Ich sah sehr jüdisch aus, meine Mutter überhaupt nicht. Einmal habe ich sie dort abgeholt, und eine der Arbeiterinnen fragte: „Is det Ihrer?“ „Ja.“ „Vater Jude?“ „Ja“, sagte sie, und weil es ihr ein bißchen zu kompliziert und wohl auch anrüchig war, daß der Vater Schauspieler ist, ließ sie ihn immer im Krieg fallen. Meine Mutter war klug, sie arbeitete ja mit den „kleinen Leuten“ und wußte, was da geredet wurde. „Warten Sie's nur ab“, hatte eine Arbeiterin zu ihr gesagt, „bald sitzen wir auch hinter dem Schalter, und sie stehen in der Schlange.“ So war's dann auch. Als ich schon in Palästina war und am Toten Meer in den Kalibergwerken arbeitete, habe ich meinen Vater in dem sowjetischen Film „Das Zigeunerlager“ in der Hauptrolle erkannt. 1945 las ich in einer ägyptisch-englischen Zeitung, daß der Schauspieler Alexander Granach in New York an einer Blinddarmentzündung gestorben ist.“