■ Eins live...: ...in allen Gassen
Es ist schon ein Jammer. Dank WDR1 schien vor rund acht Jahren die Zeit vorbei, da Radiohören für Pop-Liebhaber in NRW ein zeitraubendes Inselnsuchen war. „Pop-Session“, „Flip-Zeit“, und selbst die „Hit-Chips“ ließen uns fortan an das Gute im öffentlich- rechtlichen Menschen glauben. Wie jetzt zu erfahren war, gehörte man als Hörer dieser WDR-Sendungen zuletzt leider zu einer Minderheit von 4 bis 5 Prozent. Die übrigen 95 drehten wohl den Knopf lieber auf die WDR-Polkasender oder die behämmerten Lokalradios oder schauten gleich Musikfernsehen. Diese „Tagesreichweite“ galt es zu erhöhen, zumal für einen Sender mit Auftrag und Verpflichtung. Ab heute nun will man mit der neuen Jugendwelle „Eins live“ Marktführer bei den NRW-Menschen zwischen 14 und 40 werden.
Obengenannte Sendungen sind verschwunden; deren Moderatoren und ihre Zuhörer müssen sich nun mit einem Sendeplatz von 8 bis 11 Uhr abends namens „Kult- Komplex“ begnügen und dann noch mal von 0 bis 1 Uhr (samstags bis 2) mit „Kult und Kaos“. Der Rest ist Reden: ein Vollprogramm, zusammengebaut von einem größtenteils neuen, der Zielgruppe entnommenen Team von Jungredakteuren und -moderatoren. Auf einer Gratwanderung zwischen Großmäuligkeit und Selbstironie präsentiert der WDR seine Jugendwelle („Wir bringen den Soundtrack zum Leben“), gern öffnet man dabei die Falltür der Zweideutigkeiten: „Morgengrauen“ und „Frühreif“ heißen, erraten, die Morgensendungen, „Sonderbar“ ist eine Sendung zum Anrufen, und der Wellenslogan lautet „Eins live macht hörig“. Bei der Präsentation des Programms und in ersten Hörbeispielen schienen auch die Moderatoren vom neuen Jargon erfaßt: „Wir werden dran sein“ meint: am Thema des Tages, und auch so junggebliebene Begriffe wie „schräg, schrill, frech und unverwechselbar“, von Wellenchef Gerald Baars als Eins-live-„Zauberworte“ bezeichnet, werden dem Äther beigemischt. Das Konzept der neuen Welle ist natürlich frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits abgewickelten Konkurrenzsendern sind rein zufällig.Oliver Rahayel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen