: Vollautomatisches Lächeln
■ Ein ehemaliger Flugkapitän wirft einen Blick auf die Luftfahrt des nächsten Jahrhunderts: Sie wird sich weiter zum größten Umwelt- und Ozonkiller entwickeln
Großflughafen Berlin im Frühjahr 2005: Der doppelgeschossige Superjumbo „Mammut 2000“ schwenkt – satellitengesteuert – nach zwei Stunden in der Warteschleife endlich auf die Landebahn. Die Zwei-Mann-Crew flirtet unbeeindruckt mit der Stewardeß. Die Piloten sitzen ohnehin nur zur Beruhigung der Passagiere als „Strohmann“ im Cockpit. Flug und Landung werden ausschließlich von der Elektronik geregelt. Die Crew hat sich darauf beschränkt, beim Start die Flugnummer in den Computer zu tippen.
Die Maschine kommt nonstop aus Singapur und ist mit zweifacher Schallgeschwindigkeit in Richtung deutsche Hauptstadt gedüst. Die 714 Passagiere haben während des Fluges mit dem digitalen Himmelstelefon 188 Gespräche geführt und im Bürocenter an Bord 51 Faxe erhalten. Sie haben auf einem 12-Kanal-Videosystem zwei Dutzend amerikanische Actionfilme gesehen und per Bildschirm-Shopping für 79.236 Mark Waren geordert. Am Gate werden sie jetzt mit dem vollautomatischen Lächeln des Flughafenpersonals ausgecheckt, erhalten als Vielflieger ihren Bonusschein und machen sich auf dem Heimweg.
Wird sie so sein, die Fliegerei im 21. Jahrhundert? Die meisten Annahmen unseres Szenarios erscheinen realistisch. Falsch sind ausgerechnet einige der plausibelsten Details. Zunächst: Den Berliner Großflughafen wird es im Jahre 2005 nicht geben, weil ein solches Riesenprojekt weit mehr als zehn Jahre Planungs- und Bauzeit erfordert, wenn es überhaupt durchsetzbar ist. Auch der neue Superjumbo ist ein wackliger Zukunftskandidat. Keiner der drei großen Flugzeug-Konzerne, die alle mit wirtschaftlichen Problemen kämpfen, ist gegenwärtig in der Lage, den Supervogel der nächsten Jumbogeneration im Alleingang zu bauen. Ganz sicher wird das nächste Großraumflugzeug keine Überschallmaschine sein. Das Fiasko der „Concorde“, jenes sündhaft teuren, spritfressenden, fliegenden Lärmungeheuers, steckt der Zivilluftfahrt noch nachhaltig in den Knochen.
Der Vormarsch der Elektronik und die hochproblematische Entmündigung von Piloten und Fluglotsen ist dagegen ebensowenig aufzuhalten wie das Himmelstelefon, das fliegende Bürocenter und der Unterhaltungsschnickschnack für die Passagiere. Ebenso ist die Ablösung des altbewährten „Instrument Landing System“ durch ein neues satellitengestütztes System, das die Maschinen künftig dirigieren wird, beinahe beschlossene Sache. Und noch etwas scheint sicher: Die Luftfahrt wird im nächsten Jahrhundert boomen. Sie wird sich zu einem der größten Umwelt- und Klimazerstörer entwickeln, und sie wird nicht unbedingt an Sicherheit gewinnen.
Der Mann, dem wir solche Einsichten verdanken, heißt Rudolf Braunburg – ein ehemaliger Lufthansa-Pilot. Was dabei herauskommen kann, wenn man einen leidenschaftlichen Flieger ein Buch über die Zukunft der Luftfahrt schreiben läßt, zeigt sein schmaler Band „Der überfüllte Himmel“. Sein Buch ist keine Hymne an die Fliegerei, sondern ein nachdenklicher, zuweilen aufrüttelnder Ausblick mit Detailinformationen, wie sie nur von Insidern kommen. Und mit einigen amüsanten Histörchen aus jenen alten Zeiten, als die Piloten „nach Geruch“ steuerten, wenn sie über Berlin die Spandauer Kaffeerösterei in der Nase hatten.
Daß die Umweltdebatte der letzten beiden Jahrzehnte auch an Lufthansa-Piloten nicht vorübergegangen ist, beweist Braunberg mit erstaunlich grün-sensibler Handschrift quer durch alle Kapitel. Das spannendste dreht sich um den vergifteten Passagier. Der kann zwar an Bord bald zwischen dreißig Fernsehprogrammen und zwanzig Rotweinen auswählen, ihm wird aber immer noch eine extrem schlechte Luft voller Krankheitskeime zugemutet, deren Feuchtigkeit auf sieben Prozent absinkt. Dazu kommt der Streß durch überhöhte Ozonwerte in den Maschinen. Und bei jedem Langstreckenflug setzt es eine Strahlenbelastung, die einer Röntgenaufnahme entspricht.
Die Airlines könnten manches ändern, müssen aber vor allem eines: sparen. Geld ist knapp, die Konkurrenz mächtig. Der Zwang zur Wirtschaftlichkeit reicht bis zum knausrigen Gebrauch der Luftumwälzungsanlagen an Bord. Neue Maschinen werden kaum noch geordert. Beliebt ist dagegen die Runderneuerung – das sogenannte Hushkitting – der alten Kisten, bis immer mehr Maschinen alt und rissig werden.
Trotz alledem: Für den Autor ist der „Traum vom Fliegen“ auch heute noch lebendig geblieben. Gerade deshalb, so argumentiert er, darf das Verkehrsmittel Flugzeug nicht inflationär genutzt werden. „Muß wirklich jeder Deutsche einmal auf Madeira, Bali, den Fidschi-Inseln gewesen sein, wenn er dort nur täglich seine Bild-Zeitung, sein deutsches Bier und über den Kurzwellensender Nachrichten aus Deutschland empfängt?“ Gute Frage. Manfred Kriener
Rudolf Braunburg: „Der überfüllte Himmel“. Beck'sche Reihe, München 1994, 136 Seiten, 16,80 DM
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