Tschetschenien unter Dauerbeschuß

■ Russische Truppen bombardieren Städte, die sie schon eingenommen haben wollen / Jagd auf Widerständler / Mitarbeiter des Moskauer Ministeriums für Notstandslagen im Kampfgebiet verschollen

Moskau/Meltschu-Che (AFP) – Die russische Armee hat ihre Luft- und Artillerieangriffe auf die nach eigenen Angaben bereits eingenommenen tschetschenischen Städte Gudermes und Schali gestern fortgesetzt. Wie ein AFP- Korrespondent aus dem Ort Meltschu-Che rund sieben Kilometer östlich von Gudermes berichtete, lagen über der Stadt nach stundenlangen russischen Bombardements dichte Rauchschwaden.

Schali wurde den Angaben zufolge in der Nacht zum Freitag mit schwerer Artillerie beschossen. Am Morgen habe sich die Lage dort jedoch entspannt. Das Oberkommando der russischen Truppen in Tschetschenien gab laut der Nachrichtenagentur Interfax am Nachmittag bekannt, Schali sei endgültig „gefallen“. Das russische Ministerium für Notstandslagen teilte unterdessen in Moskau mit, vier seiner Mitarbeiter seien seit zehn Tagen in Tschetschenien verschollen.

Schali sei „ohne Verluste“ der russischen Seite und mit „Hilfe der Bevölkerung“ eingenommen worden, erklärte das russische Oberkommando. Zuvor hatte die russische Militärführung die letzten noch in Schali verbliebenen tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer laut der Nachrichtenagentur ITAR-TASS aufgefordert, die Stadt bis 8.00 Uhr MESZ zu verlassen. Die tschetschenische Militärführung hatte bereits am Donnerstag die Einnahme Schalis durch die russische Armee eingeräumt und mitgeteilt, der Großteil der Unabhängigkeitskämpfer habe die Stadt 30 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Grosny verlassen.

Wie ITAR-TASS weiter meldete, fuhr die russische Armee gestern fort, Gudermes nach tschetschenischen Kämpfern zu „durchkämmen“. Die russische Regierung hatte am Donnerstag die Einnahme der zweitgrößten tschetschenischen Stadt, vierzig Kilometer östlich von Grosny, gemeldet. Ein Sprecher des tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew bestritt die Angaben jedoch. Die tschetschenischen Kämpfer mußten sich nach den jüngsten russischen Erfolgen größtenteils in die kaukasischen Berge zurückziehen.

Die vier Mitarbeiter des Ministeriums für Notstandslagen hatten Moskau den Ministeriumsangaben zufolge bereits am 21. März in Richtung Wladikawkas in der Tschetschenien benachbarten Nordossetischen Republik verlassen.

Minister Sergej Schoigu habe in Grosny erfolglos nach den Vermißten gefahndet, hieß es. Die Agentur ITAR-TASS vermutete, die russischen Regierungsmitarbeiter könnten von tschetschenischen Kämpfern als Geiseln genommen worden sein.