„Eine Zeitlang falsch kalkuliert“

■ Die Branche, die Sicherheit verkauft, reagiert verunsichert

Norbert Strohschen ist Vorstandsvorsitzender der weltweit agierenden Gerling Rückversicherung.

taz: Herr Strohschen, wann hat man denn in Ihrem Konzern zum erstenmal an Klimaänderungen als Risikofaktor gedacht?

Strohschen: Die großen Versicherungskonzerne achten permanent auf Sturm- und Katastrophenrisiken. Aber der Zeitpunkt, an dem das anfing aus dem Ruder zu laufen, läßt sich ziemlich genau bestimmen. Das war 1987, als eine Flutkatastrophe und ein heftiger Sturm in Großbritannien zusammenkamen. Die letzte große Flut davor war 1947. Und seit 87 vergeht kein Jahr ohne katastrophale Stürme. Was wir dadurch feststellen, ist eine Verkürzung der Zeiträume, in denen die Versicherungen die eingenommenen Beiträge wieder ausgegeben müssen. Da hat man im Katastrophengeschäft traditionell mit drei bis vier Jahren gerechnet. Das hat sich enorm verkürzt – auf etwa ein Jahr. Eine Zeitlang haben die Versicherer deshalb alle falsch kalkuliert.

Wie verunsichert ist Ihre Branche mittlerweile?

Ich würde nicht verunsichert sagen, aber zumindest sensibilisiert. Denn die Entwicklung hat vor allem Konsequenzen für unsere Kunden: Die Versicherungen werden teurer, und manche werden einfach nicht mehr angeboten. Es wäre ja völlig widersinnig, an der Mosel oder am Rhein den Keller eines Uferhauses zu versichern. Dafür wäre die Prämie so hoch, daß sie keiner mehr zahlen würde. Und so tragen die Leute eben einmal pro Jahr ihre Möbel nach oben. Was die meisten übrigens nicht täten, wenn sie eine Versicherung hätten – in dem Fall trägt man die Möbel eher nach unten...

Was wird sich denn für die Kunden noch ändern?

Die Anpassung der Prämien nach oben ist der erste Schritt. Eine weitere Entwicklung ist die Einführung von Selbstbeteiligungen. Bei der Industrie in den USA oder in Australien ist das schon sehr viel stärker verbreitet als bei uns; dort leisten sich die Betriebe nicht mehr den Schutz für jeden Schaden, sondern nur noch für die wirklich großen Katastrophen.

Sehen Sie Möglichkeiten, als Versicherungskonzern politisch für Klimaschutz aktiv zu werden?

Das ist schwierig. Aber wir werden uns sicher bemühen, die Politik intensiv zu beraten. Versicherer müssen einfach mehr auf die neue Schadensentwicklung aufmerksam machen. Die Schweiz ist da schon ein bißchen weiter: In deren Delegation bei der Berliner Klimakonferenz ist auch ein Mitarbeiter der Schweizer Rückversicherung dabei. Interview: Felix Berth