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Pommes mit Milchreis

■ Helga Genslein – Königin des blauen Salons - 15 Quadratmeter Pommesparadies auf dem Ziegenmarkt

„Schön ist er nicht“, sagt Helga Genslein über ihren Frittenstand auf dem Ziegenmarkt. Aber lieben tut sie ihn, so wie eigentlich die meisten Leute ringsherum. Helga Genslein heiratete in eine regelrechte Pommes-Dynastie: 1949 gründete der spätere Schwiegervater den „Imbiß Genslein“ und verkaufte Fischwurst und -brötchen auf dem Hillmannplatz. Da kam die Helga mit ihrer Ausbildung als Bäckerei- und Konditoreiverkäuferin und mit ihrer Gastronomieerfahrung gerade recht. 1978 endlich stand sie zum ersten Mal in einem der Geschäfte an der Sankt Jürgen Straße. 1982 dann war es so weit: Am Ziegenmarkt brutzelte sie die ersten goldbraunen Pommes.

Dazu gab es kalte Füße. Die Bude nämlich war recht schlicht, ein Wagen zum Aufklappen. Während von vorne der Bratenduft die hungrigen EsserInnen einlullte, schlug ihnen von hinten eine kräftige Böe ins Pappschälchen. Das wurde erst anders, als Helga Genslein nach langen Kämpfen mit den Behörden 1988 einen festen Stand mit Überdachung und Heizung einrichtete. Da war er, der blaue Pavillon, 15 Quadratmeter Pommesparadies. Und damit wurde alles anders.

„Jetzt, wo die Leute reinkommen, kannste doch mal ne Hühnersuppe kochen“, sagte sich die behende Geschäftsfrau. Und am zweiten Tag las man in logischer Verwertungsreihe „Hühnerfricassé“ auf der Tafel. Dem Federvieh folgten „Schweinekoteletts wie zuhause“, Frikadellen, Rouladen, Goulasch, Erbsen- und Linsensuppe, kurz: Die ganze Palette der „guten deutschen Hausmannskost“. Alles in Heimarbeit geschnetztelt und geköchelt, selbst die Kartoffeln. Obwohl das Schälen für Frau Genslein eine Qual ist. Kurzzeitig hat sie es mal mit Erdäpfeln aus dem Glas versucht, aber „das mochten die Kunden nicht“. Nun schält sie wieder, manchmal langt es sogar für Reibekuchen.

Die Kundschaft geht Frau Genslein, die ihren letzten Urlaub vor drei Jahren machte, über alles. Für ältere Leute, die nicht mehr so viel essen können, kreierte sie eigens einen Seniorenteller. Für Schleckermäuler bastelt sie hier rote Grütze, dort Mousse au Chocolat. Markenzeichen und Renner aber bleibt zweifellos Gensleins Milchreis. Den hatte „die Sockentante“ vor einigen Jahren ins Programm gerufen. Die Sockentante verkaufte nebenan Socken und klagte über Hunger bei gleichzeitiger Appetitlosigkeit. Was soll man nur heute wieder essen? Helga Genslein löste das Problem in Milchreis auf.

Heute ist die süße Speise, die Helga Genslein allabendlich nach Feierabend zu Hause ansetzt, die Droge Nummer eins am Ziegenmarkt. Frau Genslein mußte sich gar von der Bildzeitung vorwerfen lassen, daß sie mit dem Milchreis die Junkies anzieht, und das womöglich bewußt. „Blödsinn“, sagt sie, „aber was soll man schon als kleiner Mensch gegen die Bildzeitung machen?“

Die Drogensüchtigen, erinnert sich die 59jährige, waren schon vor ihr auf dem Platz. Mit ihren Töchtern ist sie extra hingegangen, um denen zu zeigen, wie schrecklich sie enden können. Und das hat gewirkt, versichert Frau Genslein. Damals, vor zehn Jahren, waren noch nicht so viele Junkies wie heute da, „aber die werden ja auch sonst überall vertrieben.“ Man solle denen lieber geben, was sie brauchen, dann „hört das mit dem Dealen von selbst auf“. Mit dem Vorwurf gegen ihren Stand vorzugehen, dieser sei ein Magnet für die Drogensüchtigen, sei jedenfalls völliger Unsinn. „Wenn die Bude weg ist, dann sind doch damit nicht die Junkies weg.“

Sie hat jedenfalls keine Probleme mit ihnen. Solange die sich ordentlich verhalten, dürfen sie auch bei ihr essen. Wenn sie richtig breit sind, müssen sie allerdings draußen bleiben. „Meistens sehen die das ein, man muß denen das nur immer wieder und ganz ruhig sagen.“ Allen ist inzwischen klar, daß es im Laden außer Eßbarem nichts zu schlucken gibt. Wer es trotzdem versucht oder gar dealt, fliegt raus.

Selbst Alufolie bleibt ihnen versagt, dafür kauft Frau Genslein aber auch nichts von der reichhaltigen Angebotspalette, welche Junkies zuweilen zu bieten haben: Schnaps, Teddies, Räder, Uhren, all das kommt ihr nicht ins Haus. „Das verstehen die aber auch. Wenn ich denen sage, –Die machen mir den Laden dicht', wirkt das wie ein Zauberwort.“

Wenn sie sich nichts sagen lassen, schließt Frau Genslein auch schon mal die Bude ab. Nein, angegriffen hat sie noch niemand, „vielleicht mal ein bißchen bedroht“, räumt sie unwillig ein. Dann droht sie eben zurück: „Dann komme ich mit meiner 180 Grad Fritteuse, dann hast du ein Gitter im Gesicht.“ Meistens aber kommt es nicht so weit, weiß die resolute Dame. Und wenn, dann entschuldigen sich die Leute am nächsten Tag bei ihr. „Die wissen davon dann schon gar nicht mehr“, und das, meint sie, liegt daran, daß die ja heute alles gleichzeitig schlucken.

Viel schlimmer aber findet die nachdenkliche Frau für sich, „wenn die Autonomen alle Scheiben rund um den Ziegenmarkt einschlagen, und man steht mittendrin.“ Da hat sie doch schon mal Angst gekriegt. Aber die ist schnell wieder verflogen, wenn sie für das gute Essen und die freundliche Bedienung von den Konsum-Frauen was Süßes geschenkt bekommt oder von einem Stammkunden einen Strauß Blumen. Da hat sie das Gefühl, die Mühe der 12-Stunden-Tage lohnt sich. Und so will sie das 50jährige Jubiläum von Genslein-Imbiß unbedingt noch schaffen. Das sind noch vier Jahre – eine kurze Zeit für eine Bremer Institution. Dora Hartmann

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