„Heile Welt, das find ich gut“

■ Ab heute dreizehn neue Folgen der Radio-Bremen-Vorabendserie „Nicht von schlechten Eltern“

Auch unter den Vorabendserien des Fernsehens, die üblicherweise von kulturellen Bedenkenträgern naserümpfend ignoriert werden, gibt es kleine Juwelen. Die Schul- und Familienserie „Nicht von schlechten Eltern“, von Radio Bremen produziert (Regie: Rainer Boldt, Drehbuch: Christoph Mattner), gehört dazu: Was die Familie Schefer in den ersten dreizehn Folgen erlebte, hat das Publikum, die Kritiker und diverse Preisvergabe-Jurys (z.B. „Bambi“ und „TeleStar“) gleichermaßen begeistert. Nun gibt es endlich eine Fortsetzung (dreizehn Folgen, ab heute, jeweils Montag und Donnerstag um 18.20 im Ersten), und wer sich bisher über das Serien-Gucken erhaben fühlte, sollte spätestens jetzt seine Vorurteile in die Wüste schicken und sich davon überzeugen lassen: Es gibt ein vitales Serien-Leben im schematischen Marketing-Konzept des Fernsehens. Wie macht man das? Läßt sich ein solcher Erfolg planen? Warum überhaupt sind Serien beim Publikum so beliebt? Einer muß es wissen: Der Vorabendserien-Redakteur bei Radio Bremen, Bernhard Gleim, Mitglied im Vierer-Gremium der ARD-Gemeinschaftsredaktion für Serien und verantwortlich für „Nicht von schlechten Eltern“.

Hat Sie der Erfolg dieser Serie überrascht?

Dr. Bernhard Gleim: Wir waren alle überrascht. Hätten wir das geahnt, dann hätten wir möglicherweise in der ersten Staffel einiges anders erzählt. So haben wir uns manche Probleme aufgeladen – wie Felix– (Patrick Bach) Abitur oder Jennys (Tina Ruland) Schwangerschaft –, die uns jetzt nötigen, häufiger außerhalb unseres eigentlichen Mittelpunkts „Schule“ zu erzählen.

Was ist denn das Besondere an dieser Serie?

Daß die Geschichte aus der Sicht von jungen Leuten, die alle zur Schule gehen, erzählt wird. Und wir haben Familie und Schule durch einen erzählerischen Trick verbunden: Dadurch, daß die Mutter, Sibylle Schefer (Sabine Postel), selber als Lehrerin an der Schule ihrer Kinder anfängt, an diesem imaginären Gustav-Heinemann-Gymnasium, was ja in Wirklichkeit das Alte Gymnasium ist. Und das zweite, was vor allem durch die Zuschauerreaktionen sehr deutlich geworden ist: Die Idee, die Utopie der Serie, daß die Schefers zusammenhalten, daß sie etwas zusammen machen – das hat den Zuschauern das Gefühl gegeben: In dieser Familie würde ich auch gern leben. Das Frische, das Unkonventionelle und die Geborgenheit – das spricht die Zuschauer an.

Man könnte also sagen: Heile Welt?

Ja, und das finde ich auch richtig. Ich glaube, daß wir Modelle eines gelingenden Zusammenlebens liefern müssen. Es gehört zur Serienunterhaltung, daß die Leute dort etwas wiederfinden, was sie in ihrem eigenen Leben nicht oder nur bruchstückhaft haben. Das finde ich überhaupt nichts Schlimmes. Man sollte allerdings unterscheiden, welche sozialen Modelle man anbietet, ob es, zum Beispiel, immer der patriarchale Vater sein muß oder der Doktor, der alle Probleme löst. Und für sehr wichtig halte ich die Mischung aus komischen, emotionalen und idyllischen Elementen in unserer Serie.

Die Redaktion hat ja ungewöhnlich viele Zuschauerbriefe bekommen. Waren die nur zustimmend, oder gab es auch Einwände?

Es haben keineswegs alle eine „heile Welt“ gesehen. Manche Zuschauer haben sich sehr aufgeregt über die Frechheit der Kinder, wie sie mit den Eltern und Lehrern umgehen. Ganze Schulklassen haben geschrieben und sich differenziert mit der Serie auseinandergesetzt. Aber die einfache Identifikation mit der Serie war doch vorherrschend.

Welches Motiv hatten Sie, dem Familienvater Schefer (Ulrich Pleitgen) ausgerechnet den Beruf eines Marine-Offiziers zu geben?

Das war eine einfache Spekulation. Wir wollten einen Beruf haben, mit dem wir möglichst viel Meer und Küste zeigen können, um den Ort Bremen auch in seiner geografischen Lage in die Serie einzubringen. Und dann haben Drehbuchautor und Regisseur die Figur weiter charakterisiert: Wie geht ein Mann, der Kommandos gibt, mit seiner Familie um? Das ist ein reizvoller Gegensatz zwischen Uniform-Mensch und Privatmann.

Es gibt in der Serie eine eigentlich unübliche Figur: Großmutter Lisbeth, die zwar nicht mit im Haus lebt, aber täglich da ist und den Haushalt versorgt. Wie sind Sie auf diese Figur gekommen?

Ich finde nichts blöder als Serien, die immer nur im selben Mikrokosmos einer Generation spielen. Man kann gerade durch die Kontraste von Generationen sehr viel erzählen. Und diese Oma, die sich auch mit ihrem Lieblingsenkel Moritz (Steven Bennett) gegen die Eltern verbündet, ist einfach ein schönes, ironisches Element. Außerdem ist Renate Delfs eine wunderbare Schauspielerin.

Jugendliche Zuschauer werden ja zur Zeit mit „jungen“ Serien, vor allem den „Daily Soaps“, als Zielgruppe generalstabsmäßig umworben. „Nicht von schlechten Eltern“ wird auch aus der Perspektive von Jugendlichen erzählt und ist trotzdem ganz anders. Woran liegt das?

Ich halte das Jugendlichkeitsargument für doppelbödig. Auf moderne, filmische Erzählformen bezogen, wie wir das versucht haben, finde ich es wichtig und notwendig. Grausam aber ist das konforme Serien-Bild von Jugendlichen, das aus der Marktforschung kommt, das nur Konsumfähigkeit, Vitalität und Flexibilität propagiert. Da kommen die Älteren schon deshalb nicht mehr in einer Serie vor, weil sie nur noch Buerlezithin kaufen. Dieses konforme Menschenbild ist verachtenswert.

Welche Funktion hat eigentlich ein Redakteur bei der Produktion einer Serie?

Ein Redakteur sollte sich nicht überschätzen, aber er soll motivieren und korrigieren können. Entscheidend ist, daß er die institutionellen Bedingungen schafft, in denen die Autoren nach ihren eigenen künstlerischen Gesetzen arbeiten können.

Ist eine weitere Fortsetzung der Serie geplant?

Wir wollen nicht einen Teig so lang ausrollen, bis er ganz dünn ist. Aber wir denken darüber nach, etwas im Stil dieser Serie – und mit diesen Schauspielern – weiter in Bremen zu produzieren, um die spezifische Farbe, die Mischung aus Komik und Emotionen, zu erhalten.

Könnten Sie sich vorstellen, eines schönen – oder schrecklichen – Tages verantwortlicher Redakteur für eine „Daily Soap“ zu sein?

Darauf gebe ich eine private Antwort: Ich erzähle jeden Abend eine „Daily Soap“, nämlich meinen drei Kindern. Im Augenblick erzählen wir Forstmeister Immelmanns Osterfreude. Von drei Kindern hören drei zu, das ist ein Marktanteil von 100 Prozent. Damit bin ich sehr zufrieden.

Fragen: Sybille Simon-Zülch