Alltag eines Gipfelstürmers

Mit einem philippinischen Delegierten auf dem Berliner Klimagipfel / Arbeitsgruppen feilschen um immer schwammiger werdende Formulierungen  ■ Aus Berlin Annette Jensen

Um viertel nach acht Uhr früh verschwindet Yolando Velasco im Berliner Internationalen Congresszentrum, einem riesigen Raumschiffgebäude zwischen Autobahn und S-Bahn-Gleisen. Kaum ein Stück Himmel wird er in den nächsten elf Stunden zu Gesicht bekommen.

8.30 Uhr: Die philippinische Delegation trifft sich, wie jeden Morgen – Termine besprechen, Aufgaben verteilen, Informationen austauschen. Das asiatische Land hat knapp ein Dutzend Delegierte zur Berliner Klimakonferenz geschickt; Yolando Velasco ist Mitglied des Climate Action Network-Southeast Asia und als Vertreter einer Umweltschutzgruppe eher eine Ausnahme in den offiziellen Landesvertretungen. „Die Position der Philippinen hier in Berlin ist ganz eindeutig: Wir unterstützen voll die Forderung der der kleinen Inselstaaten nach einer CO2-Reduzierung in den Industrieländern um 20 Prozent bis zum Jahr 2005“, sagt Velasco.

9.00 Uhr: Meeting der G77, der Gruppe der Entwicklungsländer. Die Philippinen haben hier den Vorsitz. Ein paar hundert Leute strömen in den Saal. Nur wer sich mit einem rosa Schild am Revers als Delegierter ausweisen kann, ist zugelassen. Lateinamerikanische Vertreter wollen heute noch einmal über die „joint implementation“ diskutieren: Klimaschutzmaßnahmen in den Ländern des Südens, die der Norden zahlt und sich so von seinen Klimaschutzverpflichtungen freikauft. Dabei hatte sich die G77 auf der letzten Vorbereitungskonferenz in New York gerade auf eine gemeinsame Ablehnung dieses Vorschlags geeinigt. Velasco nimmt's leicht; er hat schon auf fünf internationalen Vorbereitungstreffen der Konferenz Geduld gelernt.

Weil sich mit so vielen Leuten schlecht debattieren läßt, werden Arbeitsgruppen gebildet. Dort versuchen die Delegierten, sich auf einen Kompromiß zu einigen – häufig ein stundenlanges Gefeilsche um einzelne Worte oder Halbsätze. Regelmäßig kommen dabei Formulierungen heraus, die schwammiger sind als die ursprünglichen Vorschläge. Weiter verwässert wird später noch einmal, wenn eine Einigung mit den Industrieländern ansteht.

Um 10 Uhr beginnt das Plenum. Alphabetisch nach Ländern geordnet, sitzen die Delegierten in langen Reihen im halbdunklen Saal. Immer wieder steht die Frage der „Angemessenheit bisheriger Verpflichtungen“ auf der Tagesordnung; es geht um Finanzierungsfragen und die Verbindlichkeit des Abschlußdokuments. „Große Überraschungen gibt es da nicht“, meint Velasco. Aber schon kleine Nuancen seien wichtig. „Immer mehr Länder sprechen über die Möglichkeit eines Protokolls“ – das interpretiert er als gutes Zeichen. Bei umstrittenen Themen melden sich bis zu 50 Sprecher zu Wort. Wo bereits Konsens herrscht, verlesen die Redner ihre Statements vor fast leeren Rängen.

Jetzt will Yolando Velasco erst einmal seinen Kollegen von anderen regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) einen Besuch abstatten. Vorbei an einer zehn Meter langen Stelltafel, auf der Bonn mit romantischen Fotos und dem Spruch „Its good to live here“ für sich als Sitz des künftigen UN-Klimasekretariats wirbt, schlendert er durch einen langen, mit Energiesparlampen beleuchteten Gang. Pförtner mit Walkie-talkies bewachen eine Glastür. Hinter dem Treffpunkt deutscher Wein, bei dem es schon für drei Mark ein gutes Glas Rebensaft gibt, beginnt das Reich der Menschen mit den grünen Namensschildern. Man kennt sich – aus Rio, Genf, New York. Yolando überbringt neuste Informationen vom Stand der Dinge bei der G77 und läßt sich erzählen, wo die Umweltschützer aus anderen Regionen der Welt die Probleme mit ihren jeweiligen Regierungen sehen. Die NGOs aus der EU wollen die Delegationen ihrer Länder bearbeiten, daß sie gegenüber den USA eine härtere Position einnehmen, erfährt er. Wie weit die Verhandlungen über die Geschäftsordnung des Kongresses fortgeschritten sind, läßt sich hingegen nicht rauskriegen.

Die provisorischen Räume der Umwelt-NGOs wirken mit den durcheinander liegenden Unterlagen und Klamotten in den Ecken schon fast anarchisch gegen die sterilen Räume im eigentlichen Kongreßzentrum. Journalisten und Aktivisten, größtenteils nicht älter als 35, gehen ein und aus. Auf dem Flur stapeln sich Broschüren und Infoblätter. Zu den Industrielobbys gegenüber verirrt sich hingegen kaum jemand.

Zum Mittagessen trifft sich Yolando Velasco wieder mit seinen philippinischen Kollegen. Um zwei geht es weiter mit einem zweiten G77-Treffen. Papiere aus verschiedenen Arbeitsgruppen werden vorgelegt. Schließlich tagt noch einmal das Plenum. Eigentlich soll damit um 6 Uhr Schluß sein, aber oft dauert es auch bis 8 oder 9, bis alle Redner ihre Standpunkte dargelegt haben. Obwohl alles so mühsam ist und ein konkreter Beschluß am Ende der Konferenz keineswegs sicher, ist Velasco optimistisch: „Die Entwicklungsländer wissen jetzt über das Klimaproblem Bescheid, es gibt einen öffentlichen Druck, und die Forschung hat mittlerweile gesichertere Ergebnisse.“

Vor dem Kongreßgebäude wartet der Shuttle-Bus, der Yolando Velasco zu seinem Hotel bringt. Auf der dreißigminütigen Fahrt redet er mit NGO-Kollegen über die Ereignisse des Tages. Abends ist noch ein Treffen angesetzt. Und einen Artikel für das ECO-Blatt, das jeden Tag herauskommt, muß er auch noch schreiben. Die Nacht wird kurz. „Nur wenn ich schlafe, rede ich nicht vom Klima“, sagt der Delegierte.