Sanssouci
: Nachschlag

■ Konturverlust auf höchstem Niveau: Das Zan Pollo Theater spielt Kändlers „Es klingelt“

Wenn es an der Haustür klingelt, werden Phantasien wach. Wer steht draußen und was könnte er oder sie wollen? Ein Zusammenstoß kündigt sich an. Mit dem Öffnen der Tür prallt die Außen- auf die Innenwelt. Die Folge kann ein kurzes Intermezzo sein oder auch ein Schock, je nachdem, wie das Leben in den vier Wänden organisiert ist. Friedhelm Kändler läßt die Glocke ständig schrillen. Das produziert Hoffnung und Angst und ist gleichzeitig auch Ritual – die ganze Palette der Reaktionsmöglichkeiten rauf und runter.

15 Ehejahre hinter geschlossenen Türen haben der Mann und die Frau hinter sich, denen das Klingeln gilt. Ihre gegenseitigen Vornamen wissen sie schon längst nicht mehr. Seit Jahren warten sie auf Gäste, die jedoch nie kommen und auch gar nicht kommen sollen. In ihrer Wohnung verirren sie sich bisweilen, weil sie einfach vergessen haben, welche Tür wohin führt, oder die Frau – um unnötige Wege zu sparen – die Küche kurzfristig ins Schlafzimmer verlegt hat. Zweisamkeitsalltag der abstrusen Art. Da man sich nichts mehr zu sagen hat, redet man mehr über- als miteinander. Damit überhaupt etwas passiert, klingeln sich die beiden gegenseitig an die Tür, wobei meist keiner dem anderen aufmacht. Bis ein Unbekannter sich ungefragt Einlaß verschafft. Der bringt die eingespielt-brüchige Familiensituation vollends durcheinander. Ein Ehefeind ist er und ein Techtelmechtel mit der Frau möchte er (unter anderem). Da sagt sie nicht nein. Das gibt Stoff für Wortkaskaden über den Sinn von Lebensgemeinschaften der allerfeinsten Kändlerart, bissig abstrus, zum Brüllen vertrackt. Am Schluß ist der Ausbruch dann doch nur ein halber, eine neue Runde im Zweisamkeitsroulette kann beginnen – oder vielleicht auch nicht, Kändler haßt Rezepte. Zwischen Zweisamkeitsanalyse und Nonsens ist sein Erstling (1981) eine Fingerübung in Sachen existentialistischer Kammercomedy – klaustrophob philosophisch wie ein entgleister Pinter.

Groteskes Psychodrama mit Jürgen Wink Foto: David Baltzer/Sequenz

Peter Schöttle widersteht in seiner Inszenierung der Versuchung, aus der krausen Gedankenakrobatik eine absurde Klamotte zu machen. Er verläßt sich weder vollends auf die Pointen, noch schmiert er den Text mit bizarren Bildern zu – Gefahren, denen Kändlerinterpreten gern auf den Leim gehen. Schöttle setzt – im aus den Fugen geratenen Wohnzimmer mit beweglichen Wänden und umgeworfenen Möbeln – auf groteskes Psychodrama, garniert mit der Zan-Pollo-typischen Mischung aus betonter Körperlichkeit und genauer Figurenzeichnung. Das danken ihm die SchauspielerInnen mit einer gekonnten Gratwanderung. Anke Rupp schlampt als verblühte Küchenschönheit exaltiert nölend durch die Szenen, den geckenhaft bösartigen Eindringling (Jürgen Wink) ständig auf den Fersen. Zwischen den beiden Antipoden irrt der Mann (Achim Ofner) als Zwitter aus Softproll und Selbstmitleidsbündel tapsig im Ehekrieg umher.

Nuanciertes Spiel, von der Regie sensibel auf den Punkt gebracht, erlesene Beleuchtung, dazu noch ein leidlich gut funktionierender maschineller Schlußgag – ein tiefgängig-vergnügliches Theaterschmuckstück also. Bloß: Anstatt in der Steglitzer Fabriketage könnte der perfekte Abend auch an der Studiobühne eines gehobenen Stadttheaters stattfinden. Das Off verliert immer mehr an Kontur, dieses inhaltliche Dilemma zeigt sich hier (wieder mal) überdeutlich – wenn auch auf höchstem Niveau. Gerd Hartmann

„Es klingelt“ von Friedhelm Kändler. Regie: Peter Schöttler, mit Achim Ofner, Anke Rupp und Jürgen Wink; weitere Aufführungen bis 30.4., jeweils Mi-So, 21.00 Uhr im Zan Pollo Theater, Rheinstraße 45, Friedenau