Zuflucht auf dem Wasser

■ Ein Eckchen zum Träumen, mitten auf der Bürgermeister-Smidt-Brücke: Jochen Gerz' Beitrag zur Bremer „Kunst im öffentlichen Raum“

Lieber „eine Arbeit weniger“ machen als eine mehr. Jochen Gerz weiß um die Beharrungskraft, mit der massive Kunstobjekte den öffentlichen Raum zu besetzen vermögen, zumal in Bremen. Gerz hingegen ist berühmt für die entschiedene Zurückhaltung, mithin Verweigerungshaltung seiner Arbeiten: „Man kann nichts an die Objekte delegieren.“ Gerz ist aber auch Träger des ersten Bremer „Rolandpreises“. Und der Preis, dotiert mit 20.000 Mark, ist mit einem Auftrag für „Kunst im öffentlichen Raum“ verbunden. So muß nun auch Gerz manifest werden. Fünf Jahre lang geisterte sein Projekt unter dem Titel „Bremer Befragung“ durch die Stadt. Jetzt nimmt die Diskussion feste Form an: Im Juni wird eine Chronik der Befragung, samt der Namen der 269 Teilnehmer, auf einer Platte eingraviert und auf der Bürgermeister-Smidt-Brücke eingelassen. Nicht als Monument – Gerz verwahrt sich gegen den Begriff –, sondern als Aufforderung, weiterzudenken, weiterzuträumen: „Sine Somno Nihil“ lautet der Titel der Installation – ohne den Traum geht nichts.

Zum träumen, zumindest zum nachdenken über Kunst sollte Gerzens „Befragung“ die Bremer anregen. „Zu welchem Thema sollte die Arbeit Stellung nehmen?“, hieß es auf einem Fragebogen, und: „Glauben Sie, daß sich Ihre Vorstellungen mit Hilfe von Kunst verwirklichen lassen?“ Hochschüler, Kunstfreunde wurden befragt, aber auch die Arbeiter einer Kaffeerösterei und die Insassen der JVA Oslebshausen. Das Ergebnis versetzte Gerz in Erstaunen. „Es ist eigenartig, wieviel die Leute immer noch von der Kunst wollen“, sagt er. „Die Kunst ist eines der letzten virtuellen Reservate, wo Leute guten Gewissens noch etwas fordern.“

Für die meisten der Befragten nämlich, so stellte sich heraus, „soll das Kunstwerk als Mittel zum Zweck gesellschaftlicher Veränderungen dienen“ – so ist es in der gestern veröffentlichten Auswertung der „Bremer Befragung“ zu lesen. Weiter: „Die Fähigkeit von Kunst, Probleme zu lösen, wird mehrheitlich positiv beantwortet.“ Aber auch Zweifel wurden artikuliert, ob denn die Kunst, wie wir sie kennen, solch hehren Ansprüchen wirklich gerecht wird. „In vielen Fällen“, heißt es, „wird die Fortsetzung der Bremer Tradition von Kunst im öffentlichen Raum eher befürchtet als erwünscht.“

Aus diesen Hoffnungen, Wünschen, Forderungen hat Gerz nun eine konsequente Skulptur entwickelt. Die Einlassung auf der Brücke entspricht zwar der Erwartung der Auftraggeber, der Künstler möge doch ein sichtbares Zeichen setzen. Aber das Zeichen selbst ist weder besonders spektakulär, noch bietet es plakative Parolen. Gerz versteht die Bodenskulptur eher als „Markierung“, nicht als Setzung. „Die Arbeit ist denen gewidmet, die hier stehenbleiben und etwas sehen, was es nicht gibt“, erklärt er programmatisch.

Ganz so inhaltsleer, wie sich das Kunststück auf den ersten Blick nun gibt, ist es freilich doch nicht. Denn Gerz hat zielsicher einen Ort markiert, der selbst ziemlich bildkräftig und symbolträchtig wirkt. Der Platz mitten auf der Brücke, in Form einer schmalen Auskragung, erinnert an die klassische Form des „Refuge“ – jener Ausbuchtung, die die Passanten vor den vorbeieilenden Droschken schützen sollte. Ein Zufluchtsort, ein Ort der inneren Befragung soll Gerzens Plätzchen schließlich einmal sein. Und auch die Brücke selbst und das drunter hindurchrauschende Weserwasser mögen das Werk symbolisch aufladen: Nicht zuletzt wünscht sich Gerz eine Atmosphäre des Flüchtigen und Vergänglichen. „Die Brücke ist eine schöne Metapher für das, was ephemer ist“, sagt Gerz; „an dieser Stelle kommt man vielleicht schon mal ins träumen.“

Gerz hat den Bremern das gewünschte Objekt gegeben. Aber den Erwartungen an eine drakonische Botschaft seitens des Künstlers entzieht sich das unscheinbare Stück. So kann man wirklich nichts an die Objekte delegieren – das Objekt delegiert alles zurück an die Betrachter. Thomas Wolff