Klimagipfel findet nicht statt

Niemand würde es merken, wenn die Delegierten längst abgereist und Scheinübertragungen im Studio produziert wären / Ein Kontrollgang  ■ von Christian Arns

Der Blick von der S-Bahn-Station Witzleben sagt eigentlich alles. Dort, wo die UNO-Delegierten mit ihrem Freifahrtschein ankommen sollen, schießen auf beiden Seiten des Bahnsteigs die Autos vorbei. Je drei Spuren stehen den Klimakillern in beiden Richtungen zur Verfügung, gebremst wird der Individualverkehr nur durch den etwas langsameren Vordermann.

Oben wehen unzählige Fahnen der Vertragsstaaten im Wind, über allen die der UNO. Dahinter ragt das Internationale Congress Centrum Berlin empor, ähnlich dem Kampfstern Galaktika. Beinahe kein Fenster ist an dem architektonischen Verbrechen zu entdecken; der Kohlendioxidausstoß zur Kunstlichterzeugung ist also auch bei herrlichem Sonnenschein garantiert.

Oben angekommen, ist die breite Straße für Fußgänger nicht zu überqueren. Und so mancher Delegierte staunt nicht schlecht, als das auch für die nächste Kreuzung gilt. Ampeln gibt es an der Ecke von Neuer Kantstraße und Messedamm nicht. Nur die Unterführung gewährt Zugang zu den Hallen, in denen über Klimaschutz verhandelt wird.

Und geschützt wird: Durch zwei Reihen von Wachleuten führt der Weg zu den Metalltoren, die aufgebaut wurden, um Ankömmlinge erst einmal zu röntgen. Wie am Flughafen haben Taschen und Koffer über das Band zu laufen, mit der Sherlock-Holmes-Lupe ohne Glas werden die Kleidungsstücke wahrscheinlich auf Webfehler hin untersucht.

Drinnen springt Besuchern dann gähnende Langeweile entgegen. Von hektischer Betriebsamkeit keine Spur. Der Informationsschalter am Eingang ist nicht besetzt. Berge verschiedener Broschüren liegen herum, um ihren Teil zur Waldabholzung beizutragen. Daneben, ebenfalls ganz im Zeichen des Klimaschutzes, Werbekärtchen, die zu einem kleinen Rundflug über Berlin einladen. „Lost & Found“ ist an einem Schalter zu lesen, doch mit säuerlichem Lächeln versichert die zentimeterdick geschminkte Mitarbeiterin auf Nachfrage, daß bei ihr das Vertrauen in die Regierungsvertreter auch nicht abgegeben worden sei.

Von der Haupthalle führen Rolltreppen in entlegene Sphären des ICC, die Anzeigen, was dort zu finden sei, sind ausgeschaltet. Im gesamten Rondell erhellen kleine blaue Neonröhren in der Form eines Hundeknochens das Foyer. Darunter sitzen entsprechen blaß kleine Grüppchen zusammen und unterhalten sich gemütlich bei einer Tasse Kaffee; andere lesen erst einmal die Zeitung.

Nur wenige Delegierte sind in den Fluren zu sehen, was Optimisten auf eine gutbesuchte Plenumssitzung hoffen läßt. In den vereinzelt aufgestellten Fernsehern ist sie auch zu sehen, die Gastgeberin, Bundesumweltministerin Angela Merkel. Ton haben die Monitore nicht. Was sie sagt, scheint nicht so wichtig zu sein.

Wo sich die Ministerin aber gerade aufhält, diese Frage überfordert einen Helfer ganz entschieden. „Na da“, sagt er unsicher und weist auf einen Fernseher. Sie werde wohl in einem Plenarsaal sein, vermutet er tapfer, und der sei „wahrscheinlich über den vierten Stock zu erreichen“.

Das gilt allerdings nur für den Aufzug, denn die Rolltreppen führen, ohne daß das für Benutzer erkennbar wäre, nur in jedes zweite Stockwerk, die Geschosse 1 und 3 werden übersprungen. Egal, der Plenarsaal ist oben – und leer. Gerade vier Delegierte sitzen verstreut in dem riesigen Saal. „Eigentlich darf die Presse hier gar nicht rein“, versucht ein Sicherheits-Muckel den Grund seines Rumstehens zu begründen und kommt brav mit. „Die Sitzung mit Frau Merkel muß wohl in dem anderen Saal sein“, denkt er mit. Doch auch Saal 2 gähnt vor Leere.

Die Vermutung, die Delegierten seien längst abgereist und die vermeintliche Übertragung eine Studioproduktion, verunsichert die ICC-Mitarbeiter. Gegenseitig versichern sie sich, daß das nicht sein könne, aber eine überzeugende Lösung hat niemand. „Die UN hat die Angewohnheit, alle fünf Minuten etwas zu ändern“, übt sich einer von ihnen in Kritik, aber abgereist?

Die junge Hosteß am inzwischen wiederbesetzten Infoschalter findet die Frage nach der „Medienlüge Klimagipfel“ gar nicht witzig: „Sie wissen doch ganz genau, daß Frau Merkel gerade in der Pressekonferenz sitzt!“ Stimmt.