: Schalt ein, Stoiber!
■ "Der Islamische Fundamentalismus" (20.40 Uhr, arte)
Dem Film ist besonders ein Zuschauer zu wünschen: Edmund Stoiber. Letzte Woche rechtfertigte der Bayerische Ministerpräsident auf dem kleinen CSU-Parteitag den Krieg der türkischen Armee gegen Kurden, weil sonst bald die islamistische Wohlfahrtspartei die Türkei regieren werde. „Ich möchte nicht wissen, was sich dann auf Deutschlands Straßen abspielen könnte“, sagte Stoiber, der zuvor vor einem „Ausschlag“ der Entwicklungen in der Türkei auf die Bundesrepublik gewarnt hatte.
Die Mahnung des bekennenden Katholiken geht einher mit Warnungen europäischer und US-amerikanischer Politiker und Militärs vor einem „islamischen Fundamentalismus“. Seit dem Zerbröseln des Sozialismus entdecken Strategen der Nato einen „islamischen Krisenbogen“ rund um das Mittelmeer als Gefahrenherd und künftigen Einsatzort. – Sechzig Minuten Sendezeit können nicht genug sein, um den sich spätestens seit den zwanziger Jahren entwickelnden modernen politischen Islam zu erläutern. Ahmed Jamal konzentriert sich auf die letzten zwanzig Jahre. In schnellen, großen Schritten beschreibt er den Werdegang islamistischer Bewegungen in Jordanien, Algerien, Ägypten und der Türkei und ihrer unmittelbaren Vorkämpfer: im pakistanischen Peshawar von CIA- Agenten und deren Verbündeten ausgebildete und finanzierte islamische Krieger gegen die 1979 in Afghanistan eingefallenen gottlosen Kommunisten aus Moskau.
Jamals Film verdeutlicht Unterschiede zwischen der von einem schiitischen Klerus instrumentalisierten Revolution gegen einen von den USA unterstützten Sonnenkönig im Iran vor 16 Jahren und dem Bürgerkrieg zwischen einem abgehalfterten sozialistischen Regime und um ihren Wahlerfolg betrogenen Islamisten in Algerien heute. Am Ende der Sendung bleibt als Gemeinsamkeit im Gedächtnis, daß der Islam offenbar gerade dort sowohl als Hoffnung als auch als Legitimation für Mord und Terror herhalten muß, wo zuvor weltliche Modelle versagt haben. Wo unter den Titeln Sozialismus oder Freie Welt gehungert, geflüchtet und gestorben wird, ist das Versprechen einer besseren Zukunft im Namen Gottes besonders verlockend. Das zeigen auch die BewohnerInnen der überwiegend von KurdInnen bevölkerten Regionen der Türkei. Bei den letzten Kommunalwahlen stimmten sie zumeist für die von Stoiber so gefürchtete islamistische Wohlfahrtspartei. Und wenn sich die türkische Kurdenpolitik so weiterentwickelt, wird sich dieser Trend noch verstärken. Vorausgesetzt, es ist dann noch jemand zum Wählen da. Sonst stehen die anatolischen Horden vielleicht bald schon vor Oberammergau. Thomas Dreger
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