Durchstarten oder Abstürzen

Die Windkraftbranche boomt, doch allem Umsatzzuwachs zum Trotz müssen die alternativen Versorger um die Zukunft bangen  ■ Von der Hannovermesse Jürgen Voges

Auf der diesjährigen Hannovermesse ist erstmals eine ganze Halle für die erneuerbaren Energien reserviert. Über hundert Aussteller präsentieren einzelne Komponenten oder ganze Energieerzeugungssysteme, mit denen man aus Wind, Sonnenlicht oder Biomasse Strom oder auch Wärme erzeugen kann. In der neuen Ausstellung spiegeln sich vor allem die sprunghaft gestiegenen Umsätze der Windkraftbranche wider. Wegen „der gewachsenen Bedeutung der Branche“ reichte den Windstromern ihre bisherige eigene kleine Messe, die „Husumer Windenergietage“, nicht mehr aus. Sie wollten auch im „Exportschaufenster der Industrie verstärkt Präsenz zeigen“, wie es am Dienstag Windkraftverbandschef Franz Tacke auf dem traditionell zugigen hannoverschen Messegelände ausdrückte. Auf eine Verdoppelung des Umsatzes im Jahre 1994 konnte der „Vorsitzende der Interessengemeinschaft Windkraftanlagen im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau“ verweisen. 4.000 Beschäftigte zählt die Branche zur Zeit. Mit Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von 630 Megawatt nehme Deutschland inzwischen weltweit den zweiten Rang ein und werde nur noch von den USA übertroffen, konnte Tacke stolz verkünden. Branchenprimus „Enercon“ mit seinen heute über 600 Mitarbeitern etwa hat vor zehn Jahren als Drei-Mann-Betrieb in einer Garage im ostfriesischen Aurich angefangen.

Allen stolzen Umsatzzahlen zum Trotz herrscht in der Windkraftbranche auch Zukunftsangst. Ohne Hilfe aus der Politik, so machte es Verbandschef Tacke in Hannover gegenüber dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder deutlich, könnte der klimafreundliche Windenergieboom genauso schnell vorüber sein, wie er gekommen ist. Man stoße gerade in windstarken Gebieten auf Akzeptanzprobleme, sagte Tacke, vor allem aber würde ein nicht mehr zeitgemäßes Planungsrecht als Knüppel gegen die umweltfreundliche Windenergie mißbraucht. Wie alle anderen Anlagen zur Energieerzeugung sollen auch Windkraftanlagen im Außenbereich, also außerhalb von Ansiedlungen oder Gewerbegebieten, errichtet werden dürfen, so verlangt es zumindest der Verband. Bisher fehlt den Windrädern diese Privilegierung nach dem Bundesbaugesetz. Nur die Landwirte, die schon immer ihre Betriebe im Außenbereich errichten durften, können hier mit Eigenbedarfswindrädern noch ein wenig mogeln. Gerhard Schröder versprach zumindest in diesem Punkt Hilfe. Noch im April werde Niedersachsen einen Gesetzentwurf im Bundesrat einbringen, der für Klarheit im Planungsrecht sorgen solle, sagte Schröder. Auch im Binnenland solle Wind geerntet werden dürfen, allerdings könne man nicht jedem Bauern seine eigene große Anlage erlauben. Nach den Vorstellungen Niedersachsens sollten die Gemeinden jeweils einen Standort für Windkraftanlagen im Außenbereich ausweisen.

Die größten Sorgen hat die Windkraftbranche allerdings derzeit mit den Vorstößen der Energiewirtschaft gegen das Stromeinspeisegesetz von 1990, das jedem Windstromer für die ins Netz eingespeiste Kilowattstunde derzeit einen Preis von 17,28 Pfennig garantiert. „Himmelschreiend und geradezu unerträglich ist es, wie jetzt von Elektrizitätsversorgungsunternehmen Stimmung gegen die Windkraft gemacht wird“, so Franz Tacke. Seit dem BVG-Urteil gegen den Kohlepfennig stellten die Versorger auch das Einspeisegesetz in Frage, suchten bereits einen Stromkunden, der in Karlsruhe gegen das Gesetz Klage einlege. Ohne eine finanzielle Verläßlichkeit, wie sie das Einspeisegesetz biete, könnten aber alle Mühen um die Windkraft umsonst gewesen sein, sagte der Verbandschef und forderte von Gerhard Schröder, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Gerhard Schröder allerdings schien in Hannover die verfassungsrechtlichen Bedenken der E-Werke gegen das Einspeisegesetz eher zu teilen. Er hält die gegenwärtige Einspeiseregelung für wettbewerbsverzerrend, da sie in den Gebieten mit hohem Windenergieanteil zu höheren Strompreisen führe. Der Strompreis in Norddeutschland dürfe aber nicht auf Dauer über dem in Bayern liegen, sagte Schröder mit Blick auf jene Preiserhöhung um 6,6 Prozent, die die westniedersächsische „Energieversorgung Weser-Ems AG“ letzthin mit dem angeblich teuren Ankauf von Windstrom begründet hatte. Schröder sieht im weiteren Bau von Windkraftanlagen eine „nationale Aufgabe“, die alle gemeinsam über eine Energiesteuer zu finanzieren hätten.