„Was Geniales haben wir gesucht“

■ Bremer Buchlese (10): Der Litag-Theaterverlag bringt britischen Humor auf deutsche Bühnen

„Ein Scout muß eine gute Nase haben“. Angela Kingsford Röhl hat ihren Entdeckerspürsinn jahrelang geschärft. Doch gefahndet wird in ihrem Bremer Betrieb nicht nach Bordeauxweinen, Trüffeln oder Nachwuchs-Baseballspieler. Hier machen Theaterstücke das Rennen. Aber den erfahrenen Blick, die Imagination, wie sich das gerade entdeckte Pflänzchen denn im ausgewachsenen Zustand im Rampenlicht machen wird, den braucht es auch beim Aufspüren von Theaterstücken. Was steckt in einem Text? Wird das Publikum es annehmen? Wird ein Dauerrenner wie „Cats“ daraus oder wieder nur der Flop auf der Studiobühne?

Angela Kingsford Röhl hat nach acht Jahren als Scout – damals für den Theaterverlag „Felix Bloch und Erben“ – den Sprung zum eigenen Verlag gewagt. Das heißt im Falle von Litag, hier werden keine Bücher verlegt, sondern Theatertexte direkt an die Bühnen vermittelt. Um die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bühnen, ihrer Spielpläne und Ensembles zu befriedigen, hat sich auch bei Litag mittlerweile eine Mischkalkulation entwickelt. Neben engagierten Stücken, wie zum Beispiel dem Stück über die Fatva gegen Salman Rushdie, steht leicht Verträgliches wie „Funny Girl“, „das bringt soviel wie 20 Studioproduktionen“. Drei unterschiedliche Stränge sind auszumachen: Englisches, vorzugsweise Komödien; engagierte Theaterstücke jüngerer deutscher Autoren; und seit neuestem mehr Musicals. Dafür braucht es Entdeckerspürsinn und eine nie erlahmende Neugierde auf neue Theaterstücke.

Ursprünglich schien die Vermittlung von englischen Stücken für den deutschen Markt das Idealkonzept für den Theaterverlag. Mittlerweile muß der Laden im Monat 30.000 Mark erwirtschaften und sechs Mitarbeiter ernähren, das geht nur über ein differenzierteres Programm: Nun sind neben die englischen Stücke auch deutsche Stücke und Musicals getreten.

Doch noch heute ist das ursprüngliche, deutsch/englische Theaterkonzept, klar zu erkennen und biographisch nachzuvollziehen. Als Angela Kingsford Röhl ihren Verlag 1978 in Bremen gründete, empfand sie sich als Vermittlerin zwischen den beiden Kultur. Im Norden Englands aufgewachsen, hatte die Tochter eines deutschen Vaters und einer englischen Mutter im London der „Swinging Sixties“ studiert und dort die lebendige Theaterszene kennengelernt. Was lag näher, als nach den Zwischenstationen Schauspielerin und Dramaturgin in der legendären Ära Hübner, aus der intimen Kenntnis der englichen und deutschen Theaterszene Kapital zu schlagen? Mit Fragen wie: Welches Stück paßt auf deutsche Bühnen? Welche Art von Humor kommt an? Die kulturellen Unterschiede nämlich zwischen den beiden Nationen empfindet die Verlegerin als immens: „Die Deutschen sind viel mehr in die Form verliebt, in das Zelebrieren eines Stils. Im englischen Theater gibt es das gar nicht, da zählt immer noch die Story, das 'Was'. Was die Form angeht, da sind sie einfach Meister und können das,was am Schwierigsten ist im Theater: Komödien schreiben.“

Allein mit dem britischen Humor ist heute kein Staat mehr zu machen. Längst haben sich auf dem Kontinent Entwicklungen ergeben, die man auf der Insel nicht wahrnimmt. Da hilft nur eins: sich aufmachen und das neue Territorium entdecken. Die letzte große Mission ging in Richtung Osten. Als die Mauer fiel, wurden auch für Litag in Bremen plötzlich die Theater und die Autoren interessant, die bislang hinter dem Eisernen Vorhang gespielt hatten.

„Wir haben gedacht, irgendwo da in der DDR müssen die goldenen Eier in den Schubladen liegen, irgendetwas ganz Geniales, das nicht veröffenlicht werden durfte, versuchten wie zu finden.“ Es kribbelte der Verlagsfrau mal wieder in der empfindsamen Nase, es roch nach Theater und das Scoutfieber brach unerbittlich aus.

„Ich bin dann nur noch rum gefahren, über Eisleben, Halle und Rostock. Hab vier, fünf Tage im Auto geschlafen, weil es ja noch keien Hotels gab. Ich dachte, so muß das nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sei.“ Und der Erfolg der Ostmission? „Wir haben unheimlich viel investiert, aber leider nichts gefunden. Es war wie verhext, aber die Schubladen waren leer. Wir haben alle gefragt, überall gesucht, aber das versteckte Werk, das der Zensur entgangen ist, das haben wir bis heute nicht gefunden. Nur die Farm der Tiere, Orwells Parabel, aus meinem Programm, die spielt jetzt an 15 verschiedene DDR-Theatern gleichzeitig.“

Durch diese beständige Arbeit des Suchens hat sich in den letzten Jahren einiges geändert bei Litag: Die englischsprachigen Stücke sind auf ein Drittel zurückgegangen. Es gibt inzwischen deutsche Nachwuchsautoren im Programm. Außerdem befinden sich unter den 200 Stücken mittlerweile 20 Musicals. Der bundesweite Trend ist auch im Verlagshaus spürbar.

Angela Kingsford Röhl kommt gerade von einer Rundreise durch die deutsche Premierenlandschaft zurück. Wieder hat sie zu viele Inszenierungen gesehen und pfichtbewußt genauso vielen Premierenfeier absolviert. Aber diesmal hat es sich gelohnt. In der tiefsten Provinz hat sie den Trüffel gerochen - und ihn mitgebracht. Mitten in der Beatles-Revival-Welle ist sie auf eine deutsches Musical über die Vier aus Liverpool gestoßen. „Die Musik ist theatertauglich, man kann das mit großem Orchester oder auch in kleiner Besetztung machen.“ Selbst der Titel ist, gut. Mit „Yesterday“, das sagt dem Scout die Nase, verbinden sich genau die richtigen Erwartungen an eine erfolgreiches Musical. Susanne Raubold