Zart gurrende Countryschnulzen

■ Steve McLeans "Postcards from America" schildert die düstere Fifties-Jugend von David Wojnarowicz

Als Aids-Aktivist hatte der Künstler David Wojnarowicz zum Schluß nicht viel Zeit für andere Dinge. So sind die bekanntesten Bilder, die nach seinem Tod vor zwei Jahren übriggeblieben sind, vor allem Fotos und Filme, die Freunde von ihm gemacht haben. Bei Nan Goldin erinnert der bleiche Mann mit den schmalen Wangen an einen Dandy aus der Unterwelt, der ihr vor latexrotem Vorhang Portrait sitzt, so gerade es eben geht. Als Peter Hujar ihn 1980 fotografiert hatte, waren seine Gesichtszüge noch weich gewesen: Spindeldürr hockt der schwule Poet, Maler und Essayist im Schatten eines Baumes, hält einen schwarzen Wurm in die Luft und lächelt schläfrig. Dabei sieht der junge Mann mit den hervorstehenden Hasenzähnen wie eine Ikone vom Lande aus, der Inbegriff vom stillen Countryboy, der sein Leben in the middle of nowhere fristen muß. In manchen Momenten von „Postcards from America“, wenn der Protagonist verschwitzt auf golden durchflutete Prärien starrt und verzweifelt gegen die grelle Sonne anzublinzeln versucht, wünscht man ihm, er wäre dort geblieben. Doch dann fährt wieder ein Truck den staubigen Highway entlang, eine rauhe Gestalt in engen Jeans winkt den Jungen heran und David steigt ein.

David Wojnarowicz war einer der ersten, der nicht nur seine Krankheit öffentlich gemacht hat, sondern sich bei Act-Up-Aktionen mit den mangelnden Gesundheitsprogrammen des US-Senats und der Diskriminierung von Schwulen auseinandergesetzt hat. Seine Position war nicht die des schutzsuchenden Betroffenen, vielmehr hat er aus Wut über die eigenen Lebensbedingungen agitiert, denn: silence = death.

Der Mythos üppiger Körperdramen

Schon bald nach seinem Tod wurde die meist sehr explizite Sprache Wojnarowiczs in Filmen wie „By the Dawns early Light“ von Knut Vesterskov zum Mythos der Übertretung glorifiziert. Texte, die sich auf zurückgewiesene Schuldgefühle konzentrieren, wurden als Mischmasch aus Kraft und Geilheit zusammengeschnitten, und mit nächtlichen Kamerafahrten durch Industriegelände zu einem üppigen Körperdrama hochstilisiert. Life sucks, das übliche.

Stumpf erlittene Gewalt ist auch einer der Motoren, die in Steve McLeans „Postcards from America“ in manischen Erinnerungsbildern die Biographie Wojnarowiczs vorantreiben. Wieder und wieder dreht sich das Leben schon für den Zehnjährigen im Kreis: Der betrunkene Vater hält seiner Mutter einen Revolver ins Gesicht; fette alte Männer nehmen den Jungen für zehn Dollar mit nach Hause. Die Jugendlichen in der Kleinstadt haben Pickel und zwingen den kleinen David zu SM-Spielen. Zum ersten Mal erscheint ihm der heilige Sebastian. Unter den Schwänzen, die er wichst, ist nie der eigene.

Nur wenige Schnitte später hängt ein verwirrter Wojnarowicz in New Yorker Absteigen rum, im Hintergrund kreischen die New York Dolls und auf dem Sofa räkeln sich Drag-Queens. Doch der Beatnik arbeitet nicht an Gedichten, sondern verdingt sich im Teamwork mit einem Latino als Stricher, so ein bißchen wie das männliche Pendant zu Isabelle Huppert und Maria Schneider. Spaß haben sie jedenfalls nur, wenn die Kundschaft gegangen ist. In Rückblenden tauchen dazwischen immer wieder Männer und Autos auf – on the road geht alles maschinell. Nur den einen, bei dem Wojnarowicz am Ende hängenbleibt, wird er noch auf dem Sterbebett pflegen müssen. Sein eigener Tod bleibt ohne Bilder. Vesterskov hat solcherart Graffiti-Spuren der amerikanischen Teenage-Mythologie als klaren Down-'n'-Dirty- Code für seine eigenen Körperpanzerungsphantasien benutzt. Burroughs, Warhol, Kelley oder Wojnarowicz, bei ihm gehört alles zur gleichen verwaschenen Trash- Popedelia, in der selbst Aids irgendwie heroenhafter Rock 'n' Roll ist. McLean aber beschäftigt sich sehr vorsichtig mit den Verschiebungen. Er zeigt neben der in den Sixties durchstartenden Furie, die auch in Wojnarowicz gesteckt haben mag, den vergrübelten Melancholiker, der weiß, daß er vor der Zuneigung flieht, die er sucht.

Objekt ohne Gegenliebe

Plötzlich bricht dann in verzweifelten Annäherungsversuchen die Verletzbarkeit des Vaters hervor. Als der Sohn nicht über den ermordeten Präsident Kennedy trauert, prügelt er auf ihn ein, weil er selbst die Entlassung aus der Armee nie verwunden hat. Er ist vom Objekt seiner Liebe, den USA, verlassen worden. Frauen und Söhne bieten da nur wenig Ersatz. Aus dieser Enttäuschung heraus, beginnt der Vater zu trinken und wird zum depressiven Maniac. Zu all diesen Bildern gurrt Connie Francis zarte Countryschnulzen über die Zeit im Pazifik. Für David wiederholt sich das Schicksal des Vaters. Auch er muß ohne Gegenliebe auskommen: Ältere Jugendliche zwingen ihn als Kind schon zum Blasen, obwohl er sie ebensogut aus freien Stücken lieben würde. Später erzählen Lkw-Fahrer, in Familienbilder versunken, von ihrem Zuhause, während sie seinen Körper stoßen. Wojnarowicz erduldet die Demütigungen, indem er selbst in Erinnerungen an die Matrosen- und Ledernacken- Herrlichkeit der fünfziger Jahre verschwindet: Dort aber herrscht der Vater, dem mehr und mehr die Freier zu ähneln beginnen. Das Leid des zurückgewiesenen Sohnes ist ein doppeltes: Er begehrt als Reaktion auf die Verweigerung, aber er begehrt auch die Verweigerung. Mitunter wirkt diese Nähe, mit der sich McLean in das verfehlte Leben hineinfühlt, erschreckend unheimlich. Harald Fricke

Postcards from America, Regie: Steve McLean, nach Erzählungen von David Wojnarowicz. Mit: James Lyons, Michael Imperioli, u.a. USA 1994.