Die Ermordeten zurückholen

■ Ein Gespräch mit Lea Rosh, Vertreterin der Initiative "Perspektive e.V." für ein zentrales Berliner Holocaust-Mahnmal

Zwei erste Preise sind für das Berliner Holocaust- Denkmal vergeben (taz vom 28.3.): eine begehbare, fast 100 mal 100 Meter große Steinplatte von einer Berliner Architekten- und Künstlergruppe um die Berliner Malerin Christine Jackob-Marks, auf der die Namen der ermordeten europäischen Juden eingraviert werden, und eine fast ebenso große Stahlskulptur von Simon Ungers, deren Struktur den Bahngleisen nachempfunden ist. Nachdem die Jury ihren Beschluß gefaßt hatte, hängt die letzte Entscheidung nun vom Ergebnis einer „Machbarkeitsstudie“ ab. Längst wurde Kritik an beiden Entwürfen wie am Projekt eines zentralen Mahnmals selbst laut, die sich zum Teil auch in eingereichten Entwürfen wie dem „Bus Stop“ oder der Schleifung des Brandenburger Tors niederschlug. Lea Rosh, bekannteste Vertreterin der Initiative „Perspektive e.V.“ steht im Zentrum dieser Kritik.

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taz: Sie haben sich ja für verschiedene Projekte engagiert, für ein Museum, eine Gedenkstätte, ein Mahnmal – die ja jeweils für unterschiedliche Ansätze des Gedenkens stehen. Museumspädagogik spricht eher die kognitive Form der Auseinandersetzung an, Gedenkstätten orientieren sich mehr an den realen Orten des Geschehens, Mahnmale bewegen sich im symbolischen Raum. Warum hatte das Mahnmal für Sie eine solche Priorität?

Ich habe immer Gedenkstätte gemeint; Sie können das, was jetzt entstehen soll, „Denkmal“ oder „Gedenkstätte“ nennen – das ist ein semantischer Streit. Die beiden Entwürfe beinhalten nämlich beide von Ihnen angesprochenen Punkte. Von einem Holocaust- Museum war im Zusammenhang mit dem Mahnmal nie die Rede; ich muß ja nicht alles im Leben machen, was dieses Thema angeht. Allerdings habe ich mich in das Kuratorium wählen lassen, denn mich fasziniert die Vorstellung der Initiatoren, auch in Berlin ein solches Museum zu haben. Mit diesem Museum ist sehr viel mehr gemeint, als das griffige Wort „Holocaust-Museum“ ausdrückt: Es heißt ja „Museum gegen Verbrechen wider die Menschlichkeit“, ist also größer gefaßt, wenngleich der Holocaust, also der Mord an den Juden, im Mittelpunkt steht.

Ein bißchen wie das Museum in Los Angeles, das zwar einen Hauptflügel dem Holocaust widmet, aber im Vorraum sich mit Genoziden dieses Jahrhunderts und ethnischen Konflikten in Amerika beschäftigt?

Ich kenne das Museum in Los Angeles nicht, aber die Option für ein Museum hier meint Verbrechen gegen die Juden, aber natürlich dann auch all die anderen Opfergruppen, Polen, Sowjets, Sinti, Roma, Homosexuelle. Das endet auch nicht mit 1945. Es soll auch nicht mit 1933 beginnen, sondern zeigt auch die Vorbereitungen darauf.

Es heißt, Sie hätten sich in Ihren Vorstellungen für das Berliner Mahnmal immer sehr an Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte Israels orientiert.

Das habe ich nie gesagt. Wohl wissend, daß es keine Entsprechung zu Yad Vashem in Deutschland geben kann, weil es das Land der Opfer ist, die da natürlich ganz anders rangehen, habe ich lediglich gesagt, daß es in Deutschland einen Ort geben muß, der an die Tat erinnert. Yad Vashem ist riesig, dagegen ist das, was wir hier vorhaben, ja fast bescheiden.

Dennoch gibt es ja zumindest in dem einen der beiden Entwürfe, dem der Berliner Architekten- und Künstlergruppe, klare Reminiszenzen an jüdische Formen des Gedenkens: Die Steine, die man auf den Grabstein legt, sind hier achtzehn große Steine aus Massada, also der Stelle in Israel, an der Juden den heranrückenden Römern Widerstand leisteten und schließlich kollektiv Selbstmord begingen. Warum muß ein Mahnmal im Land der Täter, auf der ehemaligen Reichskanzlei, jüdische Formen des Gedenkens benutzen?

Hören Sie mal, ich habe den Entwurf nicht gemacht. Ich bin keine Künstlerin, ich saß nur in der Jury, und diese Idee rührt mich an. Ich fand das einen überzeugenden Entwurf. Massada steht für Tod und Widerstand ...

... nun ja: Selbstmord ...

Also Tod. Es hat schon seinen Sinn, zu sagen, man holt die aus Massada. Die Zahl 18 steht ja für die europäischen Länder, aus denen Juden deportiert wurden. Aber ich muß da keinen überzeugen, entweder sie werden aus Massada geholt oder aus den 18 Ländern, das ist nicht so eine entscheidende Frage. Der Entwurf drückt beides aus, Tod und Widerstand. Die Leute denken ja immer, es gab keinen jüdischen Widerstand, sie wissen nicht, daß in Sobibor ein Aufstand war, in Treblinka, in Auschwitz, vom Warschauer Ghetto gar nicht zu reden. Und wenn sie von Selbstmord reden: Es haben sich ja auch sehr viele Juden das Leben genommen, bevor sie abtransportiert werden sollten.

Manche Leute sehen die massive Platte über der Reichskanzlei als „Deckel drauf“. Micha Brumlik hat sogar von einer Art Siegessäule gesprochen.

Nun, ich muß ja nicht jede unsinnige Bemerkung kommentieren. Von wegen „Deckel drauf“: Es handelt sich um eine ansteigende Gedenkplatte, an der höchsten Stelle. Elf Meter ist viel.

Was hat es denn aber mit der Massivität des Denkmals auf sich: War die Überlegung, Schwere der Tat gleich Schwere des Materials?

Das müssen Sie die Künstler fragen. Ich habe für dieses Denkmal sehr stark votiert, aber aus einem anderen Grund. Wir haben ja in Hannover ein Denkmal gebaut für alle aus Hannover deportierten jüdischen Kinder, Frauen und Männer, jeder ist mit Namen, Alter und Tag der Deportation und Deportationsort verzeichnet, das heißt, wir haben das Schicksal individualisiert. Dieses Denkmal wird sehr angenommen. Es gab die gleichen Diskussionen wie hier, die ewigen Besserwisser, aber jetzt, wo es seit letztem Oktober steht, gibt es eine sogar für mich selbst überraschende Resonanz. Die Alten gehen rauf, und machen ein betroffenes Gesicht, zu Recht, die haben ja auch alle geschwiegen damals, haben ihre jüdischen Bürgerinnen und Bürger nicht geschützt, sondern haben sie ziehen lassen. Und die Jungen, da hörte ich neulich, wie ein junges Mädchen zu ihrem Freund sagte: „Mein Gott, guck mal, so viele.“ Und er sagte: „Und das Schlimme ist: Niemand hat ihnen geholfen.“ Das Faszinierende an dem Berliner Entwurf ist doch: bislang hat es immer geheißen, es geht nicht, sechs Millionen Namen, und nun geht es plötzlich doch!

Die Ermordeten noch einmal mit Namen zurückzuholen, auf so einer Gedenkplatte, deshalb habe ich mich für diesen Entwurf entschieden.

Der andere Entwurf, der von Simon Ungers, sieht ja interessanterweise vor, daß man sich aussuchen kann, wessen Perspektive man einnimmt, die der Täter oder die der Opfer, ob man die Lager, die durch Lichtreflexion erscheinen, von außen oder von innen sieht.

Ich verstehe nicht, was daran eine Opferperspektive sein soll. Für mich hat dieser Entwurf zwei Schwächen, abgesehen davon, daß er so teuer ist wie der andere. Ungers will, daß, wenn man innen steht, durch die Sonnenreflexion Auschwitz auf meiner Haut erscheint. Das ist genauso ein Schwindel, wie das, was wir bei anderen Entwürfen gesehen haben. Wenn ich hier rausgucke, sehe ich den typischen Berliner Himmel: keine Sonne, grau. Das ist Mythologisierung. Außerdem sind katastrophale Fehler darin, Lager, die 1936 geschlossen wurden und so weiter. Die Leute wissen zuwenig von der Geschichte, wenn ich nur an diesen unsäglichen Busbahnhof-Entwurf denke (taz vom 28. 3.): Diese Leute wußten offenbar nicht, daß Juden in Polen ermordet wurden. Sachsenhausen war kein Vernichtungslager.

Die „FAZ“ vergißt neuerdings in keinem Artikel zu erwähnen, daß Sie keine Jüdin sind ...

Es ist völlig unerheblich, welche Religion ich habe. Außerdem hat sich ja Herr Jessen in der „FAZ“ sogar dazu verstiegen, zu behaupten, daß mein Name nicht mein Name ist. Es tut mir leid: Rosh ist mein Geburtsname und wird es auch bleiben. Den Gefallen kann ich ihm nicht tun.

Was genau ist denn Ihre Motivation, sich so zum Zugpferd für diese Initiativen zu machen?

Es ist das größte Menschheitsverbrechen. Es belastet unsere Geschichte bis auf den heutigen Tag. Wir haben ganze Länder „judenfrei“ gemacht, unter anderem Deutschland. Wenn das keine Motivation sein solte: Was soll man denn noch anstellen?

Nun tagt ja die sogenannte „Machbarkeitskommission“. Wie geht es bis zu deren Ergebnis für Sie weiter?

Wir sind ja selbst an dieser Studie beteiligt, als eine 50-Prozent- Partei, was die Finanzierung, und eine Drittel-Partei, was die Auslobung betrifft. Wir machen jetzt eine Werbekampagne, versuchen, Städte und Gemeinden anzusprechen, nicht nur Frau Meier allein.

Interview: Mariam Niroumand

Sämtliche 528 Wettbewerbsentwürfe werden in einer Ausstellung zu sehen sein, die ab 11. April bis 7. Mai im ehemaligen Staatsratsgebäude in Berlin-Mitte gezeigt wird. Besucher können und sollen Kommentare in Gästebücher eintragen.