: Über unsere Trauer reden
■ Blick nach vorn: Esther Mujawayo
Esther Mujawayo ist Regionalvertreterin der Hilfsorganisation Oxfam und ist in einer Witwengruppe aktiv.
„Wir wollen nicht, daß die Leute vergessen, wir müssen darüber reden, so laut wie wir können. Daher haben wir (die AVEGA – Bund der Witwen des Völkermords vom April) am Ende der Internationalen Frauenwoche eine Demonstration organisiert. Wir versuchen die Regierung dazu zu bringen, Verantwortung für die Witwen zu übernehmen, aber es ist sehr schwer. 70 bis 73 Prozent der Bevölkerung ist jetzt weiblich, und viele von ihnen sind Witwen.
Ganz schwer ist die Frage von Exhumierung und Wiederbestattung. Wir müssen die Leute begraben, wir müssen die Gräber unserer Familien markieren, aber es tut weh, wenn Leichen ausgegraben und wieder eingegraben werden. (Dies war letzte Woche mit Esthers Ehemann der Fall.) Zumindest können wir den Ort finden, wo unser Verwandter starb, und ihn markieren. Meine Tante wurde auf einer Toilette umgebracht, also haben wir sie überdacht und gekennzeichnet. Ich markiere jetzt den Sterbeort meiner Eltern, so daß die Nachbarn, die sie umgebracht haben, neben dem Grab wohnen müssen und es nicht vergessen werden. In meinem Elternhaus ist nichts mehr übrig – nur ein paar Ziegelsteine. Daneben sind zwei Häuser, die den Mördern gehören – die Mutter dieser Familie ist in Zaire, aber die anderen sind da. Wenn ich nun hinginge und die Häuser zerstörte, würde man mich verhaften, aber diese Leute haben meine Familie umgebracht und werden nicht bestraft. Die Politiker reden vom Zusammenleben, aber das ist Gerede – die Wirklichkeit ist viel schwerer. Es wird unmöglich sein, herauszufinden, wer für alles verantwortlich war, aber irgendwas muß doch mit den Schuldigen passieren. Ich habe Glück, ich habe eine gute Arbeit, aber viele sind nicht in meiner Lage. Die Probleme des Überlebens und des Bewältigens machen viele Frauen verrückt.
In unserer Witwengruppe können wir über unsere Trauer reden. Zugleich müssen wir uns um die Kinder kümmern, ihnen sagen, daß es in Ordnung ist, wenn sie ihre Väter vermissen. Am schlimmsten ist es in den Dörfern, wo die Mörder noch da sind. In diesen kleinen Gemeinschaften gibt es keine Anonymität. Die Frauen, die vergewaltigt und geschwängert wurden, können sich nicht verstecken.“
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