Kein Plan für große Not

Nach dem schmeichelhaften 0:0 gegen Ajax Amsterdam hoffen die Bayern unrealistischerweise auf das Champions-League-Finale  ■ Aus München Peter Unfried

Kaum war die große Fernsehkonferenz beendet, der Franz hinweggeschaltet, da hat, mit einem freundlichen Lächeln, Giovanni Trapattoni (56) etwas an den Mikrophonen genestelt und süffisant gesagt: „Entschuldigung für mein Deutsch, aber Bayern hat keinen Dolmetscher!“ Und er, der mächtig Heisere, habe „keine Stimme mehr auf der Auswechselbank“, weswegen alles ganz stille sein mußte, um die Worte des großen Fußballehrers vernehmen zu können.

0:0 gegen Ajax Amsterdam, klar, sagte Trapattoni, hätte er es „vorgezogen, wenn Sutter, Scholl oder Ziege ein Tor geschossen“ hätten. Doch im Gegensatz zum oberflächlich analysierenden Beckenbauer hatte er gemerkt, daß es sich dabei um „nicht sehr gute Chancen“ gehandelt und es schon einer veritablen Anstrengung bedurft hatte, um überhaupt das Remis im eigenen Stadion zu retten.

„Es ist schön“, hat der Italiener bewundernd gesagt, „eine Mannschaft mit korrekter Technik und Ästhetik zu sehen.“ Die seinen hat er damit nicht gemeint, denen hatte er beim Videostudium nur einbleuen können, sich gegen das flügelorientierte Kombinationsspiel von Ajax einigermaßen gut im Raum zu verteilen. Dennoch wurden gerade die für die Außenseiten zuständigen Christian Ziege und Osei Kuffour wiederholt ausmanövriert von jenen „Pässen mit Präzision und Phantasie“ (Trapattoni), die Ajax übrigens tatsächlich von der ersten Sekunde an spielte.

So darf man natürlich dem Beckenbauer recht geben, der sich die Namen der bayerischen Aufstellung durchgelesen und nur den Kopf geschüttelt hatte, doch vom Ergebnis zurückzuschließen, daß die Bayern „mithalten konnten“ und gar auf ein Vordringen ins Wiener Champions-League-Finale zu hoffen, ist kaum mehr als Zweckoptimismus. Johan Cruyff, aus Barcelona zugeschaltet, hat ungewöhnlich höflich davon gesprochen, daß „Ajax technisch, fußballmäßig besser“ sei, und das ist untertrieben. Ajax spielt einen erstaunlichen Fußball auf einem erstaunlichen Niveau. 62 Prozent Ballbesitz hat die UEFA ausgerechnet, das muß nichts sagen, ist aber in diesem Fall Beleg für die Machtverhältnisse in einem Spiel, in dem der Gastgeber Bayern – bis auf eine Viertelstunde Anfang der zweiten Hälfte – nichts tun konnte, als dem Ball verbissen hinterherzuhecheln. Das war, als sich das Ajax- Mittelfeld, von der Laufarbeit geschwächt, trotzdem plötzlich nicht mit dem 0:0 zufrieden geben wollte und „zu viele Spieler vor dem Ball“ hatte, wie Trainer Luis van Gaal mitbekam.

Wie überlegen Ajax war, kann man vielleicht am besten erkennen, wenn man zählt, wie oft eine Ajax-Kombination eine Schußchance direkt vor dem Strafraum ergab. „Zehn oder zwanzig Bälle“ hat Johan Cruyff gesehen, doch „nur zwei oder drei Schüsse“. Woraus der große Verteidiger des Angriffs schließt, daß das prächtige Team „vielleicht doch noch ein bißchen zu jung“ sei. Was fehlt noch zu jenem Team der verklärten 70er, als Ajax in Europa den Fußball neu definierte? „Es war“, sagt Trapattoni, „schön mitanzusehen, aber weniger konkret.“ Mithin also genauso, wie es sein Präsident nicht mag. Franz Beckenbauer (49), der einst schon Cruyff und dessen ästhetischen Fußball mittels Vogts realpolitisch abgewürgt hatte, ist immer ein Pragmatiker gewesen, weshalb ihn, entgegen aller Beteuerungen, das „wie“ herzlich wenig schert. 0:0 ist 0:0 und kündet nicht davon, daß die einen gut, die anderen nicht gut sind, sondern sagt ihm simpel, daß „noch nichts verloren“ ist. Der Vize Rummenigge hat das etwas besorgter gesehen und davon gesprochen, man dürfe „die Augen nicht verschließen“, andererseits jetzt aber auch „nicht verrückt spielen“.

Wer spielt denn verrückt? Längst hat Beckenbauer für seine Verhältnisse ungewöhnlich präzise wissen lassen, was kommen könnte, wenn über das Internationale der UEFA-Cup-Platz vergessen geht. Zwar sagt etwa der Spieler Babbel, man hoffe nun, gegen Kaiserslautern am Samstag „die Euphorie mitnehmen“ zu können, doch was, wenn's mit Minipersonal und auch noch ohne den gezerrten Helmer schiefgeht? Passiert was? „Das“, sagt Trapattoni, „hängt davon ab, ob Franz wieder Trainer machen möchte.“ Und seien „Luftschlösser“. Es tue ihm leid, aber er, Trapattoni, glaube „den Zeitungen nicht“. Die irgend etwas schrieben, wofür Kolumnist Beckenbauer im übrigen „nicht verantwortlich ist“. Andererseits sagt der aber auch, es gebe manchmal Situationen, wo „man auf Zeit spielen muß“. Da würde man dann hernach „als Lügner dargestellt“. Dabei, sagt Franz, sei das nur das Geschäft: „Wir kennen diese Spielereien.“

Während der Vize Rummenigge (39) dreimal mit dem Kopf nickt und gar befürchtet, demnächst werde er „wieder spielen müssen“, winkt der Präsident gegenüber solchen Notplänen energisch ab. „Es gibt keinen Notplan“, sagt Franz Beckenbauer, „weder einen Plan noch eine Not.“ Was weiteres betrifft, möchte man für dieses Mal und ausnahmsweise selbst dem großen Franz nicht uneingeschränkt recht geben.

Ajax Amsterdam: Van der Sar - Reizinger - Blind, Rijkaard, Frank de Boer - Ronald de Boer (75. Bogarde), Litmanen, Seedorf - George, Kanu (63. Kluivert), Overmars

Schiedsrichter: Cakar (Türkei)

Zuschauer: 60.000 (ausverkauft)

FC Bayern München: Gospodarek - Helmer (88. Grimm) - Babbel, Kuffour - Hamann, Schupp, Scholl, Nerlinger, Ziege - Zickler, Sutter