Fliegen kann zur Sucht werden

■ Fliegen ist ein teurer Spaß, aber nicht nur etwas für Besserverdienende / Elektromeister und Hobbypilot Gerhard Hesse vergißt in seiner Cessna seinen irdischen Ärger

Wenn Gerhard Hesse Ärger hat, geht er in die Luft. Dann tauscht er das Lenkrad seines dicken Mercedes gegen das Steuerhorn von „Skylane“, seiner 140.000 Mark teuren Cessna 182. Bevor der Elektromeister abhebt, überprüft er die Rudergelenke. „Wenn ein Splint rausrutscht, ist man tot.“ Dann checkt er den Reifendruck, zieht die Schutzhülle vom Luftdruckstaurohr, kontrolliert Öl und Benzin, schaltet die zwanzig Jahre alte Maschine ein, meldet sich beim Tower an, macht einen Motorentest, rollt über den holprigen Rasen auf die Startbahn und justiert den Kompaß. „Und dann geht's heidi im Steigflug hoch“, jubelt er.

Im Cockpit vergißt Hesse seine Sorgen. Je höher er mit der 230 PS starken Maschine steigt, um so kleiner wird sein irdischer Ärger. Manchmal ist er von dem „erhebenden Gefühl“ da oben so hin und weg, daß er singt. Trifft er einen anderen Flieger, schaukelt er mit seiner Cessna zum Gruß hin und her. Das Tollste ist für ihn aber das Starten und Landen. Denn Fliegen heißt für ihn Landen, und das sei eine Kunst.

Wenn in dreihundert Meter Höhe die Landschaft einem riesigen Schnittmusterbogen gleicht, die Eisenbahngleise sich märklinklein durch die Gegend schlängeln und die Äcker wie Breitcordstoff aussehen, kann Hesse über die Ängste der Menschen vor der Zerstörung der Natur nur den Kopf schütteln. „Es gibt doch so viel Land, Wälder und Wiesen“, sagt er. „Und FCKW macht gar keinen Schaden“, fügt er lapidar hinzu.

Seit zwei Jahren verbringt der Elektromeister jedes Wochenende auf dem Flugplatz Schönhagen im Süden Berlins. Wo früher die Gesellschaft für Sport und Technik ihren Sitz hatte, stehen jetzt etwa einhundert Maschinen von Privatfliegern und ehemaligen MiG-Piloten. In einer Flugschule kann man für knapp 12.000 Mark den Flugschein erwerben, der alle zwei Jahre mit 24 Flugstunden à zweihundert Mark erneuert werden muß. Die Ausbildung zum Privathubschrauberführer kostet über 32.000 Mark. Außer dem nötigen Kleingeld braucht man unter anderem einen Auszug aus dem Verkehrsregister und ein Führungszeugnis. Bei Vorstrafen gibt es eine Einzelfallprüfung.

Auch wenn das Fliegen ein teurer Spaß ist, sei er keinesfalls nur Besserverdienenden vorbehalten, meint der Geschäftsführer einer Flugschule. „Vom Taxifahrer bis zum Rechtsanwalt ist alles dabei“, weiß Thomas Redder. Die einen sparen sich das Geld vom Munde ab, die andern lassen am Biertisch „aus versehen“ den Flugschein aus der Tasche fallen. Nach einem Boom bei den Flugschulen Anfang der neunziger Jahre habe das Interesse jetzt etwas nachgelassen. Ein Pilot eines Charter-Services, der vorwiegend Flüge für schwerbeschäftigte Geschäftsleute vermittelt, beklagt, daß die Berliner in dieser Hinsicht noch „im Dornröschenschlaf“ lägen und das Fliegen zu schnell „verteufeln“. Als Übeltäter hat er Greenpeace ausgemacht. Dabei richte deren Papierflut gegen das Fliegen viel mehr Schaden an als ein harmloser Reklameflug.

„Fliegen kann zur Sucht werden“, hat Hesse nach über dreihundert Flugstunden erkannt. Er erlebe zwar keinen „geistigen Orgasmus“ in der Luft, aber es sei schon ein „wunderbares Gefühl, den Vögeln gleichzukommen“. Ohne Zweifel habe sein erster Alleinflug sein Leben geprägt. Nach altem Fliegerbrauch wurde ihm danach die Krawatte abgeschnitten. Das dazugehörende Hinternversohlen hat er sich jedoch verbeten. Da seine Frau der Fliegerei so gar nichts abgewinnen kann und lieber Tennis spielt, nimmt Hesse eine Bekannte auf seinen Flügen mit. Mit ihr düst er dann über die verlassenen Geisterstädte der Alliierten bei Sperenberg, zeigt ihr das Schloß Sanssouci, das Kloster Zenna oder die Insel Werder aus tausend Fuß Höhe. Auch das Fliegerlatein muß sich seine Frau nicht anhören. Dafür gibt es einmal im Monat den Piloten-Stammtisch in Schönhagen. „Es ist reizvoll, gefährliche Situationen zu schildern“, bekennt Hesse.

Der Elektromeister ist auf dem Flugplatz in Schönhagen so etwas wie eine Lokalgröße. Er hat die gesamte Beleuchtungstechnik installiert, die er auch wartet. Gemeinsam mit seinem Sohn, dem gelernten Koch, wird er in wenigen Wochen die Flugplatzgaststätte „Cockpit“ eröffnen. Eine Million Mark hat er in die Fliegerkneipe investiert. Damit das Lokal seinem Namen auch alle Ehre macht, baut er das Cockpit einer MiG 21 ein. Ob sich die Piloten auch mal ein Bierchen vorm Flug genehmigen? I wo, wehrt Hesse ab, deren Verhältnis zu Alkohol sei so wie das von Priestern zu Frauen.