„Muß mich die Strafe kaputtmachen?“

■ Im Jugendknast Plötzensee fehlen Arbeitsplätze / Fast jeder zweite Insasse ist ausländischer Nationalität / Antiaggressionstraining soll Spannungen beseitigen

„Mein kleines Fenster ist mit Gitterstäben und Maschendraht eingeteilt. Mir kann nichts passieren. Außer mir fällt die Decke auf den Kopf.“ Gedanken eines Gefangenen in der Jugendstrafanstalt Plötzensee. Per Knopfdruck gelangen die hinter Gittern gedachten Worte über das Knast-Radioprogramm in den Besucherraum.

„He“, ruft ein Gefangener aus der Tischlerei. „ich gebe gerne ein Interview.“ Wegen bewaffneten Raubes unter Alkohol müsse er noch fünf Monate absitzen. Doch seine Redseligkeit wird abrupt gestoppt. Der Abteilungsleiter für Justizvollzug, Christoph Flügge, treibt den Journalistentroß erbarmungslos weiter: ein Abstecher in die neuen Werkstätten im alten Teil der Anstalt, der 1876 von französischen Kriegsgefangenen errichtet wurde, ein kurzer Blick in den Wohnbereich der vor sieben Jahren eingeweihten neuen Anstalt und in eine beschäftigungstherapeutische Werkstatt für Drogenabhängige.

Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) will mit ihren Presseführungen zwar zu einer gewissen Öffnung der Gitterstäbe beitragen. Doch die Routen sind streng vorgeschrieben.

Die meisten der derzeit 436 Insassen sitzen wegen Diebstahl und Raub. Fast jeder zweite Gefangene ist ausländischer Nationalität. Die meisten von ihnen sind Türken und Polen. Der Ausländeranteil in der Untersuchungshaft liegt sogar bei siebzig Prozent. Die Anstaltsleitung verhehlt nicht, daß es „natürlich“ Auseinandersetzungen und „offizielle und formelle Machtverhältnisse“ gibt, die in der U-Haft besonders schwierig zu steuern seien. In einem Antiaggressionstraining, dessen Teilnahme freiwillig ist, sollen in streng quotierten Gruppengesprächen zwischen deutschen und ausländischen Gefangenen diese „Spannungen“ abgebaut werden. Ein weiteres Problem in der überfüllten Anstalt ist der Mangel an Arbeitsplätzen. Die Anzahl der Gefangenen ist einfach zu schnell gestiegen. Doch auch die 33 Arbeitsplätze, die derzeit in einer Malerei- und Steinsetzerwerkstatt geschaffen werden, lösen das Problem nicht. Wer keinen Arbeitsplatz bekommt, muß sich als Hausarbeiter verdingen und saubermachen. Die stellvertretende Anstaltsleiterin Karin Tilmann-Reinking nennt das „verdeckte Arbeitslosigkeit“. Auch das Interesse der Gefangenen an schulischen Maßnahmen übersteige die Möglichkeiten. Es sei eben nicht einfach, Lehrer zu finden, die bereit sind, auf die im Knast unüblichen Schulferien zu verzichten. Die drei anstaltsinternen Lehrer sind Justizbeamte.

Viele Insassen würden gerne eine Lehre als Maler oder Tischler machen. Aber dazu braucht man einen Hauptschulabschluß, und den haben die meisten nicht. Manchmal ist aber auch die Haftzeit schlichtweg zu kurz.

So fehlen Gino, der wegen Körperverletzung und Raub zwei Jahre absitzen muß und als Helfer in der Kfz-Werkstatt dicke Schlitten von Justizangestellten auf Vordermann bringt, anderthalb Jahre, um die gewünschte Lehre zu machen.

„Strafe muß sein, sagt mein Vater. Strafe muß sein, sagt der Richter. Strafe muß sein, sagt der Lehrer. Muß sie aber so sein, daß sie mich kaputtmacht?“ Nach dem Bolero von Maurice Ravel endet das Knast-Radioprogramm. Barbara Bollwahn