Nachschlag

■ Kein Zuckerlecken – „Avantgardenacht“ im Statthaus

„Avantgarde, das ist doch, wenn was neu ist? Ich hoffe, daß Avantgarde unabhängig ist, politisch und religiös. Mir steht die Abhängigkeit bis zum Hals“, sagt der persische Tubaspieler Freidoun Haratizadeh. Zusammen mit dem Japaner Isamu Hata am Didgeridoo und Fritz Eggert an geräuschproduzierendem Allerlei hatten sie den letzten Auftritt bei der 15. Avantgardenacht im Statthaus Böcklerpark. „Strudel-Trio“ heißt die Formation, die traditionelle, klassische und innovative Musik miteinander vermengt. „Im Strudel kommt alles zusammen, dort wird es vermischt und löst sich auf“, erklärt der Tubaspieler. Das Bild wird zur Synthese der vorangegangenen elf Auftritte, denn einiges davon bedarf der Auflösung dringend.

Ungefähr zehn Minuten lang dürfen die KünstlerInnen bei der Avantgardenacht ihr Können zeigen. Spartendenken ist dabei ausgeklammert. Von allem gibt es ein bißchen: Malerei und Musik, Gesang und Tanz, Film und Poesie. Was da vorgeführt wird, ist zwar nicht immer avant, aber Rosinen können in jedem Kuchen stecken. Die waren insbesondere bei den Tanzvorführungen zu finden.

In „Leichtes Fieber“ arbeitet sich Jenny Haack aus einer zusammengekauerten Position in den Stand, den sie am Ende wieder verliert. Zäh ringt sie um jeden Zentimeter Höhe und hält die Zeit fest zwischen Stehen und Fallen, begleitet von Sven Bernsmeister am Cello. Eine raumumfassende Choreographie hatte die Tanzperformance „Hold me while I'm naked“ von Eva Meyer-Keller, Friederike Koch und Silke Tinzer. Drei Frauen zogen sich an, stießen sich ab, bewegten sich aufeinander zu, entfernten sich voneinander. Was die drei Frauen in ihrem Tanz zum Thema machten, ist auch das Geheimnis der Avantgardenacht: Der Versuch, Grenzen und künstlerische Befindlichkeiten zu überschreiten. Gesprochenes steht neben Verschwiegenem, Ernstgemeintes neben Heiterem, Profi neben Dilettant. Dem Dilettanten nützt dies allerdings wenig.

Parodie ist das Zauberwort der SängerInnen. Auf klassische Art ersingen sich Christiane Mikoleit und Katharina Padrok die Befreiung der Frau, während Wolfgang Heisig vom Duo Zwirn eher auf „Unsinn ist Sinn“ setzt. Um den Witz ihrer Lieder allerdings zu verstehen, muß blitzschnell assoziiert werden. Märchen im Zeitraffertempo und Hänschenklein in verstellter Reihenfolge, weil man meint, etwas zu verstehen. Nur was? Kommunikation ist eben kein Zuckerschlecken. Genau das thematisiert der Maler Denis Bivour am Ende seiner Performance sehr treffend. Als Geste der Sprachlosigkeit und des Autismus in unserer Gesellschaft wirft er eine Zunge ins Publikum. Waltraud Schwab