„Das sollen alle wissen“

Wenn die Berliner SPD bei der PDS-Tolerierungsfrage kippen sollte, wollen die Grünen auch umfallen  ■ Von Dirk Wildt

Berlin (taz) – Wie brisant das Thema und wie zerbrechlich die Mehrheiten sein würden, ahnten die Berliner Bündnisgrünen vorher. Nachdem sich die Landesdelegierten am Samstag in einer Kreuzberger Schule versammelt hatten, waren sie sich schnell darüber einig, wieviel Stimmberechtigte in der Frage übereinstimmen müssen, ob und welche Aussagen die Grünen zur PDS treffen – mindestens 60 Prozent der 138 Delegierten. Die Quote war geschickt gewählt, denn ein Antrag, in dem sich der Abgeordnete Bernd Köppl faktisch für eine Tolerierung aussprach, bekam tatsächlich mehr als die Hälfte der Stimmen. Doch beschlossen war der brisante Text damit nicht, verfehlte er doch eben jene 60-Prozent-Marke.

Nun soll sich Mitte Mai das bündnisgrüne Wahlvolk auf einer Mitgliedervollversammlung über die Frage einig werden. Ihnen wird der Köppl-Antrag und ein Gegenantrag, der im wesentlichen von der Abgeordnetenhausfraktion getragen wird, zur Wahl gestellt. In der Auseinandersetzung geht es weniger um konkrete als um vage Aussagen. „Sollte das Wahlergebnis eine rot-grüne Regierungsmehrheit nicht zulassen und die SPD gewillt sein, eine Regierungsalternative jenseits der Großen Koalition zu suchen, sind wir zu Verhandlungen bereit“, fanden am Samstag 61 Delegierte. 50 andere Delegierte votierten wiederum für den Antrag des Fraktionschefs Wolfgang Wieland, der „jedes Regieren auf Grund einer Tolerierung“ ausschließt.

Gewinner Köppl wollte mit seinem Antrag den „verzweifelten Versuch“ wagen, einen „eklatanten Fehlstart“ in den Wahlkampf zu verhindern. Sollte es nach dem Wahlabend des 22. Oktober an zwei Stimmen im Parlament mangeln, dürfe nicht die Große Koalition mit ihrer „zerstörerischen Politik“ fortgesetzt werden, sagte der Gesundheitspolitiker. Für die Berliner Sozis wolle er dies sowenig ausschließen wie für die in Sachsen-Anhalt. Dort hätten die Sozialdemokraten in dieser Frage ihr Wort gebrochen. Und sollte es bei der SPD Veränderungen geben, „dann auch bei uns“, sagte der Politstratege: „Das sollen unsere Wähler wissen.“

Die Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer hatte – erfolglos – vor dem Köpplantrag und anderen mit ähnlicher Stoßrichtung gewarnt. „Wir würden unser Ziel, drittstärkste Kraft zu werden, selbst in Frage stellen“, sagte Fischer. Auch der Hinweis, daß im Wahlkampf über kein einziges rot- grünes Reformprojekt geredet würde, weil sich alles um die Fragen zur PDS drehe, überzeugte Fischers Gegner nicht. Fraktionschef Wieland bezeichnete es als „Köpplsche Eleganz“ zu sagen, „wenn die SPD kippt, kippen wir mit“. Wieland erinnerte daran, daß die Mauer weder Magdeburg – und mit Blick auf den Sprecher des Bundesvorstandes, Jürgen Trittin – noch Göttingen in zwei Stadthälften gespalten habe. Daß Wieland die PDS als „SED-Partei mit neuem Namen“ bezeichnete, provozierte endgültig Widerstände. Abgeordnete Renate Künast bezweifelte, daß mit diesem „zentralistischen Haufen“ eine Reformpolitik möglich sei.

Der Parteilinke Jochen Esser wollte dagegen „nicht mit der CDU in einem Boot“ sitzen, sondern aus der „Einheitsfront der Etablierten“ ausscheren. Anders könne man mit den 30 Prozent der PDS-Wähler im Ostteil der Stadt nicht ins Gespräch kommen. Der ehemalige Bundesvorstandssprecher Christian Ströbele sah ein halbes Jahr vor der Wahl keinen Grund zu einer Koalitionsaussage. Ihm sei die Ausländer- und Verkehrspolitik wichtig, und wenn es überhaupt darauf ankomme, müsse man nach der Wahl sehen, welche Personen für die PDS stehen.

Nach der Entscheidung hätte sich Bundesvorstandssprecher Jürgen Trittin dann doch „ein klareres Ergebnis“ gewünscht. Eine „rote Socken“-Kampagne durch die CDU fürchtet er aber nicht. „Wir brauchen uns von den Erben der Blockparteien gar nichts sagen lassen.“ Fraktionschef Wieland dachte dagegen bereits über Konsequenzen nach. Mit einer faktischen Tolerierungsaussage werde er nicht in den Wahlkampf ziehen.

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