Roll over Einstein Von Mathias Bröckers

Ohne Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenmechanik wäre unsere heute alltägliche Technik – vom Fernsehen bis zum Computer – nicht möglich. Doch trotz dieser praktischen Anwendung sind die Theorien Einsteins, Heisenbergs und anderer auch berüchtigt dafür, daß sie mit gesundem Menschenverstand kaum nachvollziehbar sind. Armbanduhren, so behauptete Einstein, würden schneller laufen, wenn ihr Träger in einem Flugzeug sitzt, subatomare Teilchen, so stellte die Quantentheorie fest, befinden sich einerseits als Partikel an einem bestimmten Punkt, sind gleichzeitig aber auch als Welle im Raum ausgebreitet. Auch die nobelpreisgeehrten Physiker gaben zu, daß sie ihre Theorie „eigentlich“ nicht verstanden. Über eines jedoch herrschte Einigkeit: daß es in diesem „relativen“ Universum, wo alles vom Ort und der Geschwindigkeit des Beobachters abhängt, eine einzige Konstante gibt – die Geschwindigkeit des Lichts. Die Lichtgeschwindigkeit stellt nach der speziellen Relativitätstheorie ein absolutes Tempolimit dar, eine Schranke, an der alles zurückprallt. Würde sich etwas schneller als Licht bewegen, könnte es in der Zeit zurückreisen. Für Fans des Raumschiffs „Enterprise“ klingen solche Effekte vertraut, in der Wirklichkeit aber stand Einsteins Tempolimit felsenfest – bis vor wenigen Wochen: Wissenschaftler an der Universität in Berkeley ermittelten Photone, die bei der Überwindung eines Hindernisses 1,7fache Lichtgeschwindigkeit erreichten – sie bewegten sich schneller als die parallel gesandten Teilchen, die keine Barriere überwinden mußten. Die Merkwürdigkeit dieses Tunneleffekts, der Einsteins Tempolimit außer Kraft setzt, wurde durch Forschungen an den Universitäten in Köln und in Wien noch verschärft: Je dicker die Barriere ist, die das Photon durchtunneln muß, desto höhere Geschwindigkeit gewinnt es dabei. Günter Nimtz von der Uni Köln ermittelte bei Versuchen mit Mikrowellen eine extreme Beschleunigung – und verblüffte bei einem Fachkongreß in den USA mit der Aufzeichnung von Mozarts 40. Symphonie – übertragen mit 4,7facher Lichtgeschwindigkeit.

Während einige Fachleute die Messungen dieser Tunneleffekte im billionstel Sekundenbereich noch für Scheinphänomene halten, sehen andere ernsthafte Schwierigkeiten für die herrschende Lehre der Physik. „Shattered“ (Zerschmettert) titelt der New Scientist (No. 1971) zum Fall von „Einsteins ultimativer Barriere“. Zwar ist es zu früh, die Theorien Einsteins zu den genialen Irrtümern der Vergangenheit zu zählen, doch sollten sich die rätselhaften Übergeschwindigkeiten weiter bestätigen, eröffnet sich eine völlig neue Welt von Paradoxen. Das physikalische Weltbild, angefangen mit der Urknalltheorie, wäre stark überholungsbedürftig – auch wenn wir vom „Beamen“ durch Raum und Zeit noch Lichtjahre entfernt sind. Doch die Experimente zeigen, daß so etwas möglich wäre, „im Prinzip“, wie Mister Spock zu sagen pflegt. Zwei Aufsätze eines kleinen Patentamts- Angestellten revolutionierten zu Beginn des Jahrhunderts das Weltbild der Physik. Die Experimente zur Überlichtgeschwindigkeit könnten der Auslöser für den nächsten Umsturz werden. Roll over Einstein ... and tell Podolsky the news.