Schlechte Ideen mit bösen Folgen

■ Libanesische Jugendgang angeklagt: Justiz ratlos, Sozialarbeiter optimistisch

Die Ratlosigkeit im Umgang mit kurdisch-libanesischen Jugendlichen zeigte sich gestern erneut im Bremer Landgericht. Vor der Jugendkammer sind dort drei libanesische Jungs wegen Körperverletzung und versuchtem Totschlag angeklagt. Alle drei geben zu, im vergangenen August den Geschäftsführer des Restaurants Marché geschlagen und getreten zu haben. Ja, und zwei Tage später haben sie den Hausdetektiv der Geschäftspassage auch zusammengeschlagen. „Das war eine schlechte Idee von uns“, sagt Sait H.*. Er soll außerdem den verletzten Detektiv am Bein gepackt haben, um ihn über die Brüstung in das darunterliegende Stockwerk zu befördern. Nein, nein das stimme nicht, sagt Sait. „Warum habt ihr das denn überhaupt gemacht?“, fragt der Vorsitzende Richter wiederholt. Die drei jungen Männer gucken zu Boden, zucken mit den Schultern. „Der im „Marché“ war unfreundlich zu uns“, sagen sie. Und der Detektiv habe sie immer angeguckt.

Am 8. August 1994 hatten sie sich mit anderen Jugendlichen am frühen Nachmittag im „Marché“ getroffen. Sie lümmelten in der unteren Etage herum, besetzten mehrere Tische. Ammed K. hatte bequem die Füße auf einen Stuhl abgelegt. „Ich habe ihn ganz freundlich gebeten, die Füße runterzunehmen“, sagt der später malträtierte Geschäftsführer Eberhard L. Da kurze Zeit später Ammed die Füße wieder auf dem Stuhl hatte, habe er ihn nochmal „energisch gebeten, sie runterzunehmen“. Darufhin seien mehrere Jungs aufgesprungen und hätten ihn mit Fäusten und Füßen bearbeitet. Einer habe ihm in die Hoden getreten. Die Jungen zerrten und rissen an dem nicht viel älteren Eberhard L. herum, bis der zu Boden ging. „Dann haben sie Getränke über mich ausgeschüttet und mir ein Glas auf dem Kopf zerschlagen“, erinnert sich der junge Mann. Gewehrt habe er sich nicht, „ich wüßte gar nicht wie“. Nur gebettelt habe er, daß sie doch von ihm ablassen sollen.

Die Sondereinsatzgruppe 12 der Polizei konnte Eberhard L. schnell Fotos der mutmaßlichen Täter vorlegen. Nur wenige Monate vorher waren sie zum Teil wegen Diebstahl und Körperverletzung auf Bewährung verurteilt worden. „Ich habe mich von der Polizei extrem unter Druck gesetzt fühlt“, sagt Eberhard L. vor Gericht, libanesische Kids zu erkennen. Obwohl er die libanesische Clique vorher nicht kannte, hat er aus den vielen Polizeifotos drei raussortieren können. Ein Polizist habe ihn dann gefragt: „Ist das der Eiertreter?“, was Eberhard L. bejahte. Vor dem Landgericht gestern konnte er sich aber nicht mehr erinnern. Auch die drei geständigen Angeklagten erkannte er nicht wieder.

Der vermeintliche „Eiertreter“ Ammed kann sich auch nicht mehr erinnern. Vielleicht hat er den Kopf voll mit seinem neuen Leben. Ungeklärt ist zwar sein genaues Geburtsdatum, dafür steht aber für den Jugendgerichtshelfer fest, daß „er sich gut entwickelt“. Ammed geht endlich wieder regelmäßig zur Schule, wo er konzentriert mitarbeitet. In einem Sportverein spielt er Fußball, die alten Kumpel aus der Clique sieht er kaum noch. Und er wohnt mit seinen Eltern und den sieben Geschwistern nicht mehr im Viertel, sondern außerhalb in einer Reihenhaussiedlung. „Ammed hat wieder Ziele vor Augen, er muß nur noch mehr Sozialkontakte finden“, sagt der ihn betreuende Jugendgerichtshelfer.

Bevor die Familie 1990 von Bederkesa nach Bremen zog, ging Ammed immer zur Schule. Seine Familie und er waren in die Gemeinschaft des kleinen Ortes integriert. Erst in der Großstadt habe er andere libanesische Jungen kennengelernt und mit ihnen den Tag verdaddelt. Sein Vater, der vor dem Bürgerkrieg im Libanon Anfang der 80er Jahre als staatenloser Kurde nach Deutschland flüchtete, reagierte mit bekannter Gewalt. Er verprügelte seinen Sohn oder sperrte ihn ein, wenn Ammed nicht nach Hause kam oder die Polizei vor der Tür stand. Der Prozeß wird fortgesetzt. ufo

*Alle Namen geändert