Nachschlag

■ Lauter Inbilder: „Der Wächter und die Hexe“ im theaterforum

Seit Jahrhunderten schreitet die heilige Johanna über die Bühnen Europas. Voltaire rümpfte die Nase über die Jungfrau, Schiller wand ihr Siegerkränze, Brecht steckte sie in die Heilsarmee, und Paul Claudel spendierte ihr eine Extraportion aus seinem Weihrauchfaß. Aber, wie Professor Unrat einmal sagte: Nicht jeder ist würdig, seine Feder an der erhabenen Gestalt der Jungfrau zu wetzen. Die Kanadierin Lily Ann Green konnte es trotzdem nicht lassen und schrieb zum 550. Todesjahr Johannas 1981 den Einakter „Forward to the Right“. Drei kurze Szenen zeigen Johanna, wie sie im Gefängnis auf ihre Hinrichtung wartet, sich mit Engelsstimmen unterhält und mit ihrem Wächter John plaudert. Am Anfang fürchtet und verachtet er die vermeintliche Hexe, am Ende trotzt er um ihretwillen der Inquisition. Aber die Annäherung zwischen den beiden entbehrt jeder Spannung, denn von vornherein ist klar, daß sie das Inbild von Reinheit und auch er im Grunde ein guter Kerl ist. Vor lauter Delikatesse kann John nicht mal erklären, daß der Eimer in der Zelle als Toilette gedacht ist.

Jörg Andrees und sein „Jeanne d'Arc Ensemble“ verzapfen den Edelkitsch ungefiltert unter dem Titel „Der Wächter und die Hexe“. Ein Lichtstrahl von oben sowie getragene Celloklänge markieren die Momente himmlischer Erleuchtung. Heike Dopichaj deklamiert feierlich und blickt verklärt zur Decke, wenn sie die Augen nicht gerade demütig senkt. Jens Reumschüssel ist der Spezialist für mißtrauische Seitenblicke und Kettenrasseln. Damit er als Soldat nicht allzu harmlos aussieht, hat man ihm ein langes Fleischmesser in die Hand gedrückt. Bemerkenswert ist jedoch ein origineller Versuch, die Finanzschwäche des Theaters zu beheben: Alle Premierengäste bekamen ihre Eintrittskarte geschenkt – mit der Bitte, durch eine Spende in beliebiger Höhe eine weitere „Schenk-Karte“ für einen Besucher der nächsten Vorstellung zu erstehen. Etwa zwanzig solcher Danaergeschenke wurden erworben. Miriam Hoffmeyer

Bis 1. 5., Fr.–Mo., 20 Uhr, theaterforum Kreuzberg, Eisenbahnstraße 21, Kreuzberg