■ Die Figur der 90er – ohne Fitneßstreß: Wegdrücken statt wegturnen
New York (taz) – Bei den Prêt- à-Porter-Shows in Paris ist mal wieder alles super gelaufen. Doch frau fragt sich hinterher verzweifelt, wie soll sie nur in Thierry Muglers Wespentaillen-Kostüme oder in Valentinos tiefausgeschnittene Abendroben passen und dabei auch nur eine annähernd so gute Figur machen wie die Models auf dem Laufsteg? Endlose Stunden im Fitneßstudio und strenge Diäten stehen den modebewußten Damen da wieder ins Haus, nur um am Ende festzustellen, daß der hautenge Designerfummel sich doch noch an den falschen Stellen beult.
Da gibt's nur eins: den „Hipslip“, den „ButtBooster“ oder die neuen „Control Stockings“, die Miederwaren der Generation X. Ruck, zuck reinschlüpfen in die Lycrawunder, und schon ist das Bäuchlein brettflach, der Po kugelrund und die Hüften schön straff – ganz ohne Hungern oder schweißtreibende Work outs auf der Tretmühle. Das jedenfalls versprechen die Erfinder der modernen Körperformer. Mit dem modemäßigen Rückfall in die 50er Jahre und der Sanduhr-Idealfigur einer Gina Lollobrigida oder Jane Russell boomt jetzt auch das Miederwarengeschäft. Nach Jahren der Stagnation registrieren die Hersteller wieder steigende Umsatzzahlen. 8,64 Milliarden Dollar gaben die Amerikanerinnen 1994 für BHs, Strümpfe und formende Korsetts aus, fast 20 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Branchenriese Warnoco setzte im letzten Jahr allein 565 Millionen Dollar um.
Der Hipslip, ein hautenger Unterrock mit eingebautem Miederhöschen, verkaufte sich so gut, daß seine Erfinderin Nancy Ganz Anfang der 90er Jahre ihre eigene Firma „Bodyslimmers Inc.“ gründete. Heute verdient sie mit dem Verkauf von körperformenden Corsagen, Hüftgürteln und Push- up-BHs jährlich etwa 9 Millionen Dollar. Ihre neueste Erfindung ist der ButtBooster (zu deutsch: Po- Hochdrücker oder auch: Po-Verstärker), eine strammsitzende Lycrahose mit speziellen Verstärkungen, die die Pobacken nach oben drücken. „Es funktioniert ähnlich wie ein Wonderbra“, erklärt Designerin Ganz. „Ich habe den Buttbooster entwickelt, weil man nichts gegen die Schwerkraft machen kann, egal wieviel Fitneß man betreibt.“
Mit ihrer Entwicklung liegt die Bodyslimmer-Chefin voll im Trend. Die amerikanische Modedesignerin Donna Karan beispielsweise, deren Kreationen vorzugsweise von karrierebewußten Busineß-Frauen getragen werden, bietet schon seit letztem Jahr eine ganze Kollektion formender Stützstrumpfhosen an. Ihr Name: Control Body Stockins. Der Wäschehersteller Hanes wiederum wirbt für seine neusten Strumphose-Linien „Smooth Illusions“ mit dem Slogan „Liposuction ohne Chirurgie“ (Liposuction ist der medizinische Fachausdruck für die in der Schönheitschirurgie angewendete Methode des Absaugens des Unterhautfettgewebes). Und im Werbespot für Leggs-Strümpfe sagte eine langbeinige Schönheit neckisch: „Aufs Dessert verzichten? Nie mehr!“ Statt dessen trägt sie „Smoothy Silhouettes“. Wie viele Tiramisus mit Schlagsahne die formenden Strümpfe tatsächlich wegdrücken können, sagt der Hersteller jedoch nicht.
Nicht alle sind von den Figurverstärkern so begeistert. „Einerseits bin ich froh, wenn wir durch Kleidungsstücke geformt werden und nicht durch plastische Chirurgie. Denn Kleider kann man einfacher loswerden als Silikonschaum unter der Haut“, sagt Marie C. Wilson, Präsidentin der MS.-Stiftung für Frauen, „andererseits ist es schwer, mit jungen Frauen über die Entwicklung ihrer geistigen Fähigkeiten zu reden, wenn ihnen in Zeitschriften dauernd erzählt wird, daß das Wichtigste ihr hochgedrückter Busen ist.“ Ging mit der sexuellen Befreiung der 70er Jahre auch die Befreiung aus einengenden Schalen-BHs und abschnürenden Scarlett-O-Hara-Miedern einher, haben die 90er Jahre der Frauenbewegung nicht nur modemäßig einen heftigen Rückschlag versetzt.
Mit dem Siegeszug des Wonderbras, den freiwilligen Verschnürungen an Bauch, Hüften und Gesäß und der Rückkehr des fragilen Riemchen-Stilettos am Damenfuß gehen nach Meinung vieler Feministinnen auch geistige Einschnürungen einher. „Für mich ist es kein Zufall, daß in dieser politisch konservativen Zeit die Brüste wieder hochgedrückt werden wie in den 50er Jahren mit Filmstars wie Lana Turner“, sagt Frauenrechtlerin Wilson, während sich Tausende ihrer Geschlechtsgenossinnen schon wieder verschämt an ihren Spandexpandern zupfen und dabei denken: mein Hüfthalter bringt mich um.
Doch diesmal sind nicht nur die Frauen Opfer der Lycra-Industrie. Auch immer mehr Männer suchen die verzweifelten Vorzüge eines schlankmachenden Mieders. So sind im fashionablen New Yorker Modehaus Saks Fifth Avenue spandesverstärkte Unterhosen des US-Designers Calvin Klein sowie vom deutschen Unterhosenhaus Schiesser der Verkaufsrenner der Saison. Auch Miederkönigin Nancy Glanz denkt schon über neue Produkte für Männer nach. Denn, so die Intimdesignerin, „viele Männer haben ganz schön viel Bauch“. Ute Thon
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