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Polyphones Wiederholungskarussell

Kierkegaards „Wiederholung“ als Gesamtkunstwerk von Heiner Goebbels zum Auftakt des neuen TAT  ■ Von Jürgen Berger

Eine Konzertpianistin, ein Schauspieler, ein Gitarrist. Dazu Texte von Robbe-Grillet, dem Hauptvertreter des Nouveau Roman, etwas versteckt das „Joy in Repetition“ der Pop-Ikone Prince, und im Zentrum Textstellen aus Sören Kierkegaards „Wiederholung“. Ein erzählerisch-philosophischer Text, in dem der dänische Dichterphilosoph über Möglichkeiten sinniert, wie der melancholischen Erinnerung zu entkommen sei. Bei ihm tauchen immer wieder alternde Verführer auf, die vergangene Situationen in Gedanken durchspielen; in Frankfurt wird das vom belgischen Schauspieler Johan Leysen gespielt, der mit zerknittertem Gesicht das Herzstück der „Wiederholung“, eine Reise nach Berlin, zum besten gibt. Er will in Berlin in der gleichen Pension wohnen und im Theater das gleiche Stück sehen wie einige Jahre zuvor.

Daß aus solchem Material ein Theaterabend gebastelt werden kann, scheint zunächst fraglich. Was also soll solch ein Projekt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da das Theater am Turm (TAT) Abschied von seiner alten Spielstätte in der Eschersheimer Landstraße nimmt, ein Aufführungsort, der mit Namen wie Rainer Werner Fassbinder und Uraufführungen, wie zum Beispiel Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“, verknüpft ist?

Der neue Spielort ist das ehemalige Bockenheimer Straßenbahndepot, eine wunderschöne Halle, die bisher von den Städtischen Bühnen genutzt wurde. Heiner Goebbels hat zum Auftakt der neuen TAT-Ära ein avantgardistisches Gesamtkunstwerk mit sich wiederholenden Variationen von Text- und Musikmotiven konzipiert. An der Oberfläche sind die wiederholten Teile identisch, im Detail allerdings unterscheiden sie sich. Unterlegt ist das Ganze mit Bach, Beethoven, Schubert und Heiner Goebbels, das Ergebnis ein polyphones Wiederholungskarussell. Erich Wonder baute eine Drehbühne mit einer gegenläufig sich drehenden Wand, so daß dieselbe Szene immer aus verschiedenen Perspektiven sichtbar ist. Häufig gewinnt der Abend dadurch eine überraschende Dichte, wird Kierkegaards philosophisches Konstrukt sinnlich erfahrbar. Immer wieder franst Goebbels Gesamtkunstwerk aber auch aus, hat man das Gefühl, John King, der New Yorker Gitarrist und Geiger, sei ein Fremdkörper im Bühnenarrangement.

Die Überraschung des Abends ist Marie Goyette, eine kanadische Konzertpianistin, die zwischen Diva am Klavier, lasziv verführerischer Frau und naiv fragendem Mädchen changiert. Kierkegaard spricht immer wieder von ironischer Elastizität, die für eine glückliche Wiederholung nötig sei – Marie Goyette hat sie und ist ein starker Gegenpart zu Johan Leysen, vor allem wenn beide zusammenstehen und dieselben Textstellen erzürnt, ungeduldig, ängstlich und lässig nebenbei sprechen.

Es gehe bei der Wiederholung weder um neuen Wein in alten Schläuchen, noch um alten Wein in neuen Schläuchen, meint Kierkegaard an einer Stelle, so daß es doch etwas Apartes hat, wie das TAT seinen Neuanfang einläutet. Er steht auch für eine Variation der altbewährten Arbeit. War vor zwei Jahren noch im Gespräch, das TAT unter Umständen zu schließen, gefielen sich Stadträte der Äppelwoimetropole mit Bankappeal als Kulturkiller, ist es nun doch ganz anders gekommen.

Das einstige Off-Theater erfährt mit dem Umzug und der Eingliederung als vierter Sparte der Frankfurter Bühnen neben Oper, Ballett und Schauspiel eine enorme Aufwertung. Tom Stromberg erläutert, daß die großzügigeren Raumverhältnisse im Bockenheimer Depot künftig unter anderem erlauben, Ariane Mnouchkines „ThéÛtre du Soleil“ einzuladen. Ein weiterer Vorteil der Neustrukturierung: Durch die Eingliederung in die Städtischen Bühnen können deren Verwaltung, Werkstätten und Technik mitbenutzt werden.

Dadurch scheint etwas Licht in Frankfurts Kulturdschungel zu kommen, der in der Zeit mit Hilmar Hoffmann als Kulturdezernent wucherte. Allerdings geht es auch in diesem Falle nicht ohne Reibungsverluste ab. Ein Blick auf den künftigen Spielplan des TAT zeigt, wo die Feinabstimmung stimmt und wo noch gehobelt werden wird. Mit Ballettchef William Forsythe zusammen holt man hochrangige Ballettgastspiele (im Juni Pina Bausch) nach Frankfurt, Opernchef Silvain Cambreling wird demnächst eine große Oper im Bockenheimer Depot dirigieren. Allein Schauspielchef Peter Eschberg, der seit einigen Spielzeiten glücklos am Main agiert, steht abseits im Geviert. Er habe in den Verhandlungen als einziger auf einer klaren Spartentrennung bestanden und wollte im Falle von TAT-Schauspielproduktionen ein Mitspracherecht, meint Tom Stromberg, was für ihn natürlich inakzeptabel gewesen sei. Nicht erst seither dürften zwischen den beiden Spartenchefs starke Abstoßungskräfte walten.

Heiner Goebbels: „Die Wiederholung“, nach Motiven von Kierkegaard, Robbe-Grillet & Prince. Bühne und Licht: Erich Wonder. Mit Marie Goyette, Johan Leysen, John King. Weitere Aufführungen: 12.– 15. 4.; im Hebbel- Theater, Berlin, vom 12.–14. 10.

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