Kurz vor Schluß „sagen, was mir wichtig ist“

■ Gespräche mit Elie Wiesel: Die Memoiren des François Mitterrand

Paris (taz) – Nicht einmal einen Monat hat François Mitterrand noch – dann ist der 8. Mai und sein Nachfolger ist gewählt, und er darf bloß noch den 50. Jahrestag des Kriegsendes feiern, bevor er sich ins Privatleben zurückzieht. Damit gehen nicht nur 14 sozialistische Amtsjahre im Elysee-Palast zu Ende, sondern auch eine Inszenierung des Abschieds von Macht und Leben, wie sie die Franzosen seit Jahrhunderten nicht erlebt haben.

Jüngster Beitrag zu Mitterrands Selbstdarstellung ist ein Buch mit Gesprächen zwischen dem 78jährigen Präsidenten und seinem 13 Jahre jüngeren Freund, dem Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel. In sechs Kapiteln handeln sie von „Kindheiten“, „Glaube“, „Kriegen“, „Literatur“, „Macht“ und „Momenten“. Die „zweistimmigen Memoiren“ (Mémoire á deux voix, François Mitterrand, Elie Wiesel, Paris) kamen gestern in Frankreich in den Buchhandel und sorgten sogleich für großes Aufsehen, wie alle Enthüllungen aus dem Leben des scheidenden Präsidenten – die Veröffentlichungen über Mitterrands Krebsleiden, über seine inzwischen erwachsene uneheliche Tochter Mazarine, über seine Beteiligung am Kollaborateurs-Regime von Vichy und über seine philosophischen Gespräche über den Tod.

Der inszenierte Abschied von Macht und Leben

Jedes Mal hatte Mitterrand selbst die notwendigen Details für die Stories geliefert: Er stellte sich im Fernsehen einem langen Interview über seinen prekären Gesundheitszustand, übergab einem Journalisten zahlreiches Material über seine Rolle zwischen 1940 und 1945, führte seine ihm wie aus dem Gesicht geschnittene uneheliche Tochter in ein Pariser Nobelrestaurant aus und versuchte erst gar nicht, seine Treffen mit dem populären Philosophen und Esoteriker Guitton zu verheimlichen.

Seine Zwiegespräche mit Wiesel begann Mitterrand schon 1987, als er sich erstmals mit einer konservativen Regierung konfrontiert sah. Sie endeten im vergangenen Jahr, als Wiesel, der als einziges Mitglied seiner Familie die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald überlebt hat, den Präsidenten über dessen langjährige Freundschaft zu Bousquet befragte. Mitterrand hatte die Beziehung zu dem einstigen Polizeichef des Vichy-Regimes, der für die Deportation von Juden aus Frankreich verantwortlich war, erst abgebrochen, als gegen den einstigen Polizeichef Untersuchungen wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ begannen.

Er antwortet Wiesel nur, „weil Sie es sind“

Wiesels Fragen dazu beantwortet Mitterrand trotzdem nur, „weil Sie es sind“. Er habe sich nichts vorzuwerfen, wiederholt der scheidende Präsident, was er schon bei anderer Gelegenheit gesagt hatte. Bousquet sei schließlich nach Kriegsende vom höchsten Gericht freigesprochen worden und bis 1978 ein geschätzter Gesprächspartner der Pariser Gesellschaft gewesen, den nicht nur er frequentiert habe.

Bei anderen Themen ist Mitterrand eloquenter. Viel Zeit widmet er seinem intellektuellen Streben. Er erklärt, daß er sich „jeden Abend Zeit zum Nachdenken“ nimmt, daß die Auseinandersetzung mit der Geschichte eine Pflicht sei, und er spricht darüber, was ihn, der „dreizehn oder vierzehn Bücher“ verfaßt hat, von einem Schriftsteller unterscheidet.

Die Zeit als Staatspräsident kommt erstaunlich kurz. Da bilanziert Mitterrand selbstkritisch, daß er das Gewicht der Gesellschaft und der Moral unterschätzt habe – „man ändert eine Gesellschaft nicht per Gesetz“. Und er bedauert, daß er – beispielsweise bei der Arbeitslosigkeit – nicht alles getan hat, was er hätte tun müssen.

Wiesel, der seine eigenen Meinungen und Erfahrungen in dem Buch stark zurückhält, glaubt, daß der Präsident ihn als Dialogpartner gewählt hat, weil er ein Schriftsteller ist, und ein Jude, der sich mit der Geschichte und dem Erinnern befaßt. Der Präsident selbst begründet sein Redebedürfnis biographisch: „Hier angekommen, spüre auch ich die Notwendigkeit, mit einigen lang zurückgehaltenen Worten das zu sagen, was mir wichtig ist.“ Dorothea Hahn