Reizendes Baustellenpanorama

■ Neu im Kino 46: „Oben – unten", eine Berliner Kiez-Komödie zwischen Vorabend-unterhaltung und schöner Skurrilität

Joseph Orr schrieb und inszenierte, der MDR coproduzierte und fünf Länder-Filmförderungen zahlten - heraus kam ein Erstlingsfilm, der so unfertig ist wie das Berlin, das er zeigt. Der bleiche Franz, ein Einmann-Verleger im Nachwende-Szenequartier Prenzlauer Berg? Na, gut. Doch Lisa, der stillen jungen Blondine, die unter ihm wohnt, nimmt man nur widerwillig die Bauleiterin ab, obwohl sie durch unermüdliches Tragen von Ar-beitshandschuhen und Baustellenhelm dauernd darauf hinweist. Bald werden die beiden sich in den Armen liegen, soviel ist nach den ersten Minuten klar.

Bis es dazu kommt, geht allerdings viel Zeit ins Land. Denn daß er oben, sie unten wohnt, wissen beide anfangs nicht. Boy meets girl: Wer noch nach dem klassischen Billy Wilder-Prinzip Filme machen will, muß wirklich zündende Ideen haben. Den Mangel daran versucht „Oben-unten“ durch gefällige Befindlichkeitsanekdoten wettzumachen. Wir erfahren, daß Franz auch nur ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden will und immer unterbrochen wird, bevor er eine Geschichte zu Ende erzählen kann. Franz ist bereit, auf Fleisch zu verzichten, man könne ja auch mal Wurst essen.

Manche Szenen lassen gleichwohl erahnen, daß Joseph Orrs Debütfilm eine skurrile kleine Komödie hätte werden können. Location: Die ziemlich marode Badewannen-Installationen Lisas und Franz', oben und unten. Läuft ihre Dusche, tropft seine nur. Und umgekehrt. Ein Schrei dringt durch die Decke, jedes Mal, wenn Lisa ihn hören will und Franz, der eingeseift und irritiert den Duschkopf anstarrt, von Zeit zu Zeit dezent verbrüht. Nach solchen Momenten der Bewährung braucht Franz immer das Gespräch mit seinen Pflanzen, die ihm ab und an sogar gütig zuzunicken scheinen. Und auch, als Franz mit dem Mikrophon der Berliner Schnauze auf der Spur ist, um Sprüche für ein Buchprojekt zu sammeln, sind ein paar komödiantische Miniaturen gelungen.

Schade, daß solch schön zurückgenommener Slapstick meist umrahmt ist von Bildern auf dem Niveau vorabendlicher Fernsehunterhaltung. Die gegenseitige Suche Franz' und seiner Flamme im Verkehrsgewühl am Prenzlauer Berg hat die inszenatorischen Qualitäten eines verschnarchten Schülerfilms. Und wenn Lisa und Franz im offenen Jeep unterwegs sind – einfach nur weg, man kennt das –, fährt die Kamera quälend lang über Häuserfronten und durch Tunnel. Eben so lang, wie Franz' und Lisas mäßig amüsanter Dialog dauert und sie geklärt haben, wohin sie überall nicht fahren.

Filmhistoriker werden möglicherweise dereinst, wenn Berlin bautechnisch zur Ruhe gekommen ist, die meisten in einem Spielfilm zu sehenden Baustellen in „Oben- unten“ zählen können. Schon heute läßt sich allerdings feststellen, daß die Komödie Joseph Orrs, Jahrgang 1960 und aufgewachsen in Ost- Berlin und Moskau, ein Lebensgefühl vermittelt, das seltsam antiquiert anmutet. Das original Prenzlberg-Soziotop wird das wohl sein. „Müslis“, Vegetarier, Selbsthilfegruppen werden hier aufs Korn genommen, Typen mit Nackenmatten und bunten Halstüchern tauchen auf, und beim Griechen um's Eck werden allerhand Probleme ausdiskutiert: Joseph Orr scheint sich zeitgeistmäßig noch in den frühen 80ern zu bewegen. Man kann das natürlich den Charme der frühen Jahre nennen oder auch: der Osten ist anders. Alexander Musik

Ab heute bis Dienstag, tägl. 21 Uhr, Kino 46 (Waller Heerstr. 46)