„Die haben nicht unser Leben gezeigt“

■ Diskussion in Huchting: Jugendliche werfen einem ZDF-Bericht Sensationshascherei vor

„So sind wir nicht!“ – unter diesem Motto wollten am Dienstag abend die Huchtinger Jugendlichen einiges geraderücken. Anlaß der Diskussion, zu der rund 50 Interessierte, darunter 20 meist türkische Jugendliche, ins Schulzentrum Hermannsburg gekommen waren, war der Film „Zwischen Knast und Palast – Grenzgänger des Gangster-Rap“, den das ZDF am 22. März im Jugendmagazin „Doppelpunkt“ ausgestrahlt hatte. Darin wird die überwiegend türkische Gröpelinger und Huchtinger Jugend-Rap-Szene als extrem gewaltbereit und mafia-ähnlich dargestellt.

Unter den betroffenen Huchtiger Jugendlichen hatte der Film heftigen Ärger ausgelöst, und deshalb wollten sie eine Gegenveranstaltung durchführen. Eingeladen zu dieser Diskussion hatte Hans-Günter Schwalm, der im Amt für Soziale Dienste Süd für Jugendarbeit zuständig ist.

Verschiedene Szenen aus dem Film wurden zu Beginn der Diskussion von den Jugendlichen kommentiert. Im Film wird Yüksel als der „Pate“ vorgestellt – die gebräuchliche Bezeichnung für den Boss einer Mafia-Organisation. Sein Bruder Yücel, 23 Jahre alt, dazu: „Mein Bruder arbeitet seit vier Jahren im Schichtbetrieb bei Mercedes. Wenn er wirklich ,der Pate' wäre, hätte er das bestimmt nicht nötig“.

„Gerade Yüksel so darzustellen, war völlig daneben“, sagt auch Hans-Günter Schwalm, „da kann ich nur sagen: mies recherchiert!“ Im Film werden Autos der Jugendlichen als 150.000 Mark teuer und gestohlen bezeichnet. „Das waren Autos von Freunden, nicht gestohlen und auch keine 150.000 Mark wert“, sagt Yücel dazu. Und Ahmet, 26 Jahre alt, meint: „Das hat mich echt geschockt, was die gezeigt haben, die haben da unheimlich viel rausgeschnitten“, und weiter: „Wer so ein großer Fisch ist, der stellt sich doch nicht vor die Kamera!“.

„Die ZDF-Leute haben uns gesagt, sie wollen unsere Lebenswelt filmen. Also sind wir mit ihnen schwimmen gegangen, haben mit ihnen Basketball gespielt und haben mit ihnen Discos besucht. Das haben die alles nicht gedreht. Die haben nur Gewalt gezeigt, nicht unsere Freizeit“, kritisiert Yücel. Ganz besonders schlimm sei die Szene gewesen, in der gesagt worden ist, daß man jederzeit an Waffen rankomme. „Klar haben wir Waffen: Messer und Baseballschläger und so, aber doch keine Kalaschnikow!“, ärgert sich Ahmet. „Wir sind ganz bestimmt keine Engel, aber so, wie das im Film dargestellt ist, sind wir nicht“.

Das wollen dann auch einige der anwesenden AnwohnerInnen nochmal betonen, denen die Darstellungen der Jugendlichen schon fast wieder zu harmlos klingen: „Ich finde das nicht gut, daß ihr nicht dazu steht, was ihr gemacht habt. Ihr müßt schon zur Kenntnis nehmen, daß sich viele Menschen bedroht fühlen, wenn sie euch in eurer Gruppe begegnen“, sagt eine Frau. Und auch der Diskussionsleiter Schwalm kommt immer wieder auf den Gully-Deckel, der in den Kiosk flog, zurück: „Also, wenn was in dem Film belegt ist, dann doch das Klirren von den Kiosk-Scheiben. Wie ist es dazu gekommen?“. Sie hätten das mit dem Kiosk ja auch nie bestritten, entgegnen die Jugendlichen. „Die meisten von uns kennen den Kiosk auswendig, für die war das normal, irgendwann hätten die das eh gemacht, also warum nicht dann, wenn die Kamera da ist“, sagt einer von ihnen. Und überhaupt sei das Problem mit dem Kiosk, daß der Besitzer ausländerfeindlich sei. Da der Kiosk jetzt von Türken geführt werde, habe sich das Problem gelöst. Das bestätigt auch Hans-Günter Schwalm.

Die Probleme von und mit den Jugendlichen kommen an diesem Abend zwar auf den Tisch, so recht finden die MitarbeiterInnen des Amtes für Soziale Dienste, AnwohnerInnen und Jugendliche jedoch nicht zueinander. „Was fordert ihr denn für eure Clique?“, will eine Frau wissen. „Was sollen wir schon fordern? Hier wird ja doch nur geredet, aber es ändert sich nichts“, ist die Antwort. Die Idee, selbst ein Video über die eigene Clique zu drehen, greifen die Jugendlichen jedoch auf. Für eine offizielle Gegendarstellung im ZDF reicht es nämlich nicht, hat Hans-Günter Schwalm herausgefunden.

Schon während der Dreharbeiten des ZDF-Teams im Oktober 1994, hatte die Streetworkerin Sabine Diers den Reportern vorgeworfen, sie hätten die Jugendlichen aufgeputscht, um „Action“ vor die Kamera zu kriegen (vgl. taz vom 25.10.94). Die Reporter haben diese Vorwürfe mit der Begründung zurückgewiesen, die Behördern samt Streetworkerin hätten keine Ahnung, was sich wirklich in der Subkultur abspiele. Elke Gundel