Käpt'n Uli auf großer Fahrt

■ Wahlkampf als perfekte Inszenierung / CDU-Spitzenkandidat Ulrich Nölle in Walle

Jetzt wird's kritisch: Der Moderator blickt betont scharf über seine Lesebrille und hinauf zum Kandidaten. Er liest ihm ein Zitat von Gerhard Schröder vor, im „Spiegel“ habe es gestanden: „In den Armen keiner Frau fühle ich mich wohler als in den Armen von Klaus Wedermeier...“ Heiterkeit im Publikum, der Kandidat aber reagiert reflexartig: „Das gilt übrigens auch für mich!“ Der Saal tobt, die Gäste im Ernst-Waldau-Theater, alle 40, lachen befreit auf, der Moderator lächelt milde, der Kandidat strahlt: Alles läuft wie geschmiert.

Wenn CDU-Mann Ulrich Nölle, laut Wahlplakat bereits „Bürgermeister für Bremen“, vor sein Wahlvolk tritt, sitzt jede Bügelfalte, jede Geste, jedes Wort. Seine Wahlveranstaltungen sind Beispiele perfekter Inszenierungskunst. Doch das Vorbild ist nicht mehr das Theater, sondern das Fernsehen: keine großen Ansprachen mehr, kein Frontalunterricht – Politik wird als Talkshow verkauft. Im gezielt lockeren Plauderton erzählt der Kandidat von seinem Leben, redet über Gott und die Welt und – ganz nebenbei – über die CDU.

Nur eine knappe Stunde haben die jungen Leute vom „Nölle-Team“ Zeit; dann muß der Saal im Waller Theaterhaus auf Wahlkampf getrimmt sein. Auch Moderator Stoll gefällt die leicht vermuffte Vereinshaus-Atmosphäre gar nicht. Also flugs die Tischreihen gelockert, die Sessel mit den beigefarbenen Cordbezügen leger drapiert. Plakate mit Nölles aktuellem Porträtfoto verdecken die etwas angejahrten Wände, dazwischen Kohls Konterfei mit der Mahnung: „Der Kanzler kommt!“

Alles kein Problem die Wahlhelferschar mit den schnittigen „Nölle-Team“-Baseballmützen. Für Henning z.B., Informatikstudent und nach Feierabend JU-Mitglied, ist es der achte oder neunte Einsatz seit Monatsanfang – ach, so genau weiß er das schon gar nicht mehr. Für alle Fälle, alle Schichten hat er Werbematerial dabei: für die Alten ein „Aktionsprogramm“ der Senioren-CDU; für die Jungen ein Tütchen Haribo-Konfekt; wer's genau wissen will, kann ein Parteiprogramm mit der Aufschrift „Regierungsprogramm“ mitnehmen. Zuletzt wird aus dem Nölle-Team-Mobil das Plastiktischchen rausgeholt, an dem Moderator Stoll schon mal lässig Position bezieht. Dann kommt der Kandidat.

„Familie – was bedeutet das für Sie?“ Moderator Stoll, im wahren Leben Rundfunk-Reporter, hat sich vorgenommen, gleich zu Anfang „die Persönlichkeit Nölle vorzustellen, die er zweifelsohne ist“. Also, Herr Nölle, was heißt Familie? „Immer zu wenig Zeit, aber auch Hort, um Kraft zu schöpfen.“ Rührung unter Alten im Saale. Ein idealer Schwiegersohn.

Ein gelungener Auftakt für die Nölle-Personality-Show. Aber Nölle hat noch viele Seiten, die es geschickt auszuplaudern gilt. Nölle, der Erfolgstyp: „Wie haben Sie es in nur zehn Jahren geschafft vom einfachen Sparkassenangestellten zum Vorstandsmitlied?“ Nun, ja – zur Sparkasse habe er ja nicht immer gewollt... Der Saal lauscht gespannt: ein krummer Lebensweg? „Ursprünglich wollte ich ja Kapitän werden“ – Nölle, der waschechte Hanseat. Daß er gebürtiger Dortmunder ist – alles vergeben und vergessen. Nölle spürt die Sympathie im Publikum, reitet noch ein Weilchen auf der Hanseaten-Welle weiter: Wie er auf der „Deutschland“ harte Lehrjahre verbrachte; wie er „bei schlechtem Wetter rausmußte, die Persenning mit dem Keil festklopfen“. Gischt spritzt durch den kleinen Saal; nun sind alle an Bord bei Käpt'n Nölle. Moderator Stoll vollendet die Vorlage: Der Kapitänswunsch – „war das Sehnsucht nach der Ferne oder schon Anspruch auf Führung?“

Nein, Stoll begreift sich „nicht als Wahlkämpfer für die CDU“, sondern als Moderator. Nur kurz habe er sich mit dem Kandidaten vorher abgesprochen. Wozu auch – die beiden bilden ein perfektes Paar: der kleine, salopp gedreßte Moderator, ganz Volkes Stimme, und der baumlange Kandidat, im dunkelblauen Zweireiher ein Inbegriff an Solidität.

So funktioniert das Frage-Antwort-Spiel perfekt; Stichwort fällt auf kluges Stichwort. PDS und DVU nennt Stoll in einem Atemzug – „wie schätzen Sie die ein?“ Und den Ampelbruch – hatte Nölle das nicht genau vorhergesagt? – Genau. Schließlich die Kardinalfrage: „Mit Ihnen als Bürgermeister – wird es da Bremen noch geben? Sind Sie für den Erhalt der Eigenständigkeit?“ Keine Frage. Nölle, der Traditionsbewußte, zitiert Duckwitz: „Andere Länder müssen sagen: Es ist ein Glück, daß es Bremen gibt!“

Dann die Publikumsrunde. Fragen an den Kandidaten. Wohin mit dem Müll? Muß Walle um sein Polizeirevier bangen? Und wie will er Bremen aus den Miesen bringen? Besser kann es gar nicht kommen. Nölle spult die allgemeinen Parteiprogrammpunkte ab. Sicher umschifft der Käpt'n alle Klippen. Nur einmal kommt er leicht ins Schlingern. Da steht ein alter Mann auf und erzählt von Kaisens Zeiten, und wie schlecht es ihm seither gehe, und wie ihn die Welt so ungerecht behandelt. Da hilft kein flotter Spruch heraus, keine Floskel, kein Stichwort. Mit kühler Miene hört sich das Talkshow-Team alles geduldig an, Interesse im Blick: „Danke für Ihren Beitrag.“

Die Show kommt zum Schluß; der Moderator hebt die Stimme und weckt die Eingelullten. Großer Schlußapplaus. Nur Nölle wirkt kein bißchen müde. Morgen früh muß er wieder in seine Sparkasse, „das Kreditgeschäft geht ja weiter, da braucht man meine Unterschrift.“ Mit „viel Vitaminen“ hält er sich fit für die nächsten Shows: 14 Auftritte sind geplant, am nächsten Abend ist der Zukunftsminister Gaststar bei der Bremer CDU. Noch ein kurzes, persönliches Gespräch mit ein paar ausharrenden Gästen – dann räumt das Nölle-Team die Haribos und Wahlplakate weg, trägt das Tischchen aus dem Saal und verschwindet leise mit dem Bus – bis zur nächsten Show.

Thomas Wolff