„Adolf Hitler war zu gut...“

■ Aus dem Kriegserinnerungsbuch von Frau Adele Wieting, Jahrgang 1893

12.5.1945

Das Ende ist da. Am 8.5.45 haben unsere Truppen bedingungslos kapituliert! Man kann es noch nicht fassen, wenn man nicht auf Schritt und Tritt Amerikaner sähe und wir alle drei mit sämtlichen Kisten und Kasten in einem Zimmer in der Goebenstraße wohnten, weil die ganze König-Albert-Straße für durchziehende Truppen geräumt werden mußte.

Nun ist der Traum von einem Sieg aus und vorbei, das deutsche Volk wird untergehen und nie wieder hochkommen, ja aber warum sollen wir es denn immer sein, die verlieren? Adolf Hitler hat bestimmt sein Bestes gewollt, aber ich höre auf, es ist zu gräßlich. Vielleicht kriege ich später noch einmal wieder den Mut zum Schreiben.

22.5.1945

Ich muß mich doch noch länger über alles auslassen, denn inzwischen sind mir zahlreiche Gedanken durch den Kopf gegangen, und zwar, ob wir es nicht doch noch hätten schaffen können. Es ist zwar blödsinnig, wenn man so das ganze überdenkt und vielleicht haben auch die Leute Recht, die jetzt auf Hitler schimpfen und sagen, er hätte früher aufhören sollen, um uns einen einigermaßen günstigen Abgang zu schaffen, was jetzt fast alle Leute tun. Jeder hat plötzlich alles vorausgewußt und war nie in der Partei, ja rühmt sich sogar, wenn er im KZ gesessen hat. Da denke ich: solche Leute haben doch nie mit Überzeugung gekämpft, sie passen sich eben der Lage an, und mit solchen Leuten konnten wir keinen Krieg gegen die Welt gewinnen. Wir brauchen einen Glauben, der das Volk trägt und der die Materialüberlegenheit des Gegners überflügelt. Statt dessen gab es Gemeinheiten und Verrat in eigenen Reihen als es brenzlich wurde, wie es ja von solchen Leuten, denen alles schnuppe ist, wenn sie nur ihre Ruhe haben, nicht anders zu erwarten ist.

Nein, wir konnten den Krieg nicht gewinnen! Wir müssen es uns selbst zuschreiben, das Volk war nicht reif genug, hätte es jedes Haus, ja jeden Meter zu einer Festung umgewandelt, welche von den Feinden erbittert erkämpft werden mußte, es wäre langsamer gegangen mit dem Rückzug und vielleicht wären auch in dieser Zeit des Aufschubs unsere neuen Waffen fertig geworden. Wenn Wenn Vielleicht. Jedenfalls war der Führer zu vertrauensselig, so daß sich in unserer Wehrmacht eine Keimzelle des Schmutzes bildete, die sich Verrat des eigenen Volkes zum Ziel machte. So starben wir schon seit Stalingrad im Schmutz, der sich langsam und stetig verbreitete, wodurch Hitler von vorn und hinten belogen wurde. Ebenso kam der Mordversuch und der Rückzug in Frankreich zustande. Gewiß, die Führung hat Fehler gemacht, aber im Grunde seines Herzens hat jeder von uns langsam am Sieg zu zweifeln begonnen, auch ich, und das ist tausendmal viel schlimmer. Diese Strapazen, die wir noch hätten überdauern müssen, wäre der Kampf von uns so verbissen geführt worden, wie ich es schrieb, hätte ja keiner und wird glaube ich auch niemals ein Mensch durchhalten, dieser Glaube, der nötig gewesen wäre, wird auch wohl kaum fest in einem Menschen sitzen, und deshalb müssen wir es aufgeben, eine Welt zu besiegen, deshalb werden wir für ewig untertauchen in dem Schmutztigel der anderen. Man kann nur sagen, es war einer da, der Deutschland zum Siege führen konnte, doch seine und des Volkes Kraft haben nicht gereicht. Schlechtigkeit hat wieder über Anständigkeit gesiegt und wird es immer tun!

Nun erzählt man sich viele Schweinereien und Greultaten von KZ-Lagern, Greultaten der SS und Lügen der Führung. Ich kann es kaum fassen und doch, wenn es wahr wäre, gehört das nicht alles mit zur Keimzelle des Schmutzes? Sie drängte sich in die Führung, umhüllte die Anständigen sozusagen mit einem rosigen Schleier und trieb uns von da aus radikal dem Verderben zu. Was zuletzt aus den Anständigen geworden ist, weiß heute noch kein Mensch, und werden wir es jemals erfahren? Vielleicht werden wir es erfahren, aber ob es dann stimmt?

Ich laß und laß und laß es mir nicht nehmen, es ist das beste gewollt worden, wir waren nur zu schwach und vertrauensselig. Das sind unsere Fehler, wir alle hatten nicht erkannt, worum es ging. Niemals werden wir es schaffen, denn fehlt die Vollkommenheit des Volkes, die es ja nicht gibt, so muß ein materieller Rückhalt da sein, der uns auch fehlt. Wie schon gesagt, ich selbst bin nicht besser, sogar noch schlechter als mancher, denn mich begeistern die schicken Soldaten der Feinde ganz toll u.s.w., aber dies sollen ja auch nur meine Gefühle und Gedanken darstellen, die ich, die von nichts eine Ahnung hat, sich so über das Ende macht.

Es ist das beste, ich höre auf, es ist doch alles zwecklos, wir sind nun einmal besiegt und haben damit die Freiheit verloren. Adolf Hitler war zu gut, er hat noch an die Vollkommenheit eines Volkes geglaubt und ist daran gescheitert.

Ich werde Adolf Hitler mein Leben lang im guten Andenken behalten! Zweifel, die durch böse Redensarten aufkommen, werde ich verscheuchen, es kann nicht alles Lüge gewesen sein!