Bremens fast inhumane Ruhe

■ Ein Bericht des englischen Korrespondenten Harry J. Ditton aus dem seit vier Tagen besetzten Bremen

Bremen's Almost Inhuman Calm – Unter dieser Überschrift berichtete am 29. April 1945 der englische Korrespondent der Tageszeitung News of the World, Harry J. Ditton, aus dem besetzten Bremen:

Bremen war und ist verschieden von allen anderen deutschen Städten, die wir eingenommen haben. Sein Todeskampf war viel schwerer. Es hatte sich entschieden, sich gegen sein Schicksal zu wehren. Und folglich wird es vielleicht als Handels- und Hafenplatz in seiner Entwicklung einhundert Jahre zurückgeworfen werden.

Vierundzwanzig Stunden bevor die Stadt fiel, wurde sie in einen brodelnden Hexenkessel aus Flammen und Rauch verwandelt, so wie es dann und wann schon in den vergangenen drei oder mehr Jahren als das Ergebnis unserer Bombenangriffe geschehen war. Und Artillerie und Mörser trugen das ihre zur Zerstörung bei.

Auf Grund unserer Erfahrungen in anderen Städten erwartete man, daß die Zivilbevölkerung, die dem Hagel von Bomben und Granaten in Kellern und Bunkern entkommen war, einige Zeit brauchen würde, um wieder zu sich zu kommen.

Aber als sie herauskamen, waren da 300.000 (sic!) Sklavenarbeiter in Bremen, und trotz der Flammen und trotz des Rauches füllten sie zusammen mit den Deutschen die Straßen, als unsere Kampfwagen in die Stadt dröhnten.

Es schien, als ob sich die ganze Stadt einen Ferientag genommen hätte; aber es gab keinen Anlaß für Ferienstimmung.

Das war es vielleicht, was Bremen so von all den anderen Städten, in denen wir einrückten, unterschied: Niemand zeigte auch nur das geringste Anzeichen eines Gefühls. Im Gegenteil, da war eine Haltung und eine Atmosphäre nicht menschlicher Ruhe und totaler Gleichgültigkeit gegenüber dem zu verspüren, was passierte. Da gab es keine Tränen, keine bleichen und gezeichneten Gesichter. Und nicht eine einzige weiße Fahne.

Keine Unterwürfigkeit

Es war solch eine unglaubliche Szenerie, daß ich mich beinahe selbst kneifen mußte, um sicher zu sein, daß all das kein phantastischer Traum war. Hier standen Deutsche, deren Lebensgrundlage zerstört wurde. Der Rest ihrer Häuser ging in Flammen auf. Und dennoch tratschten sie an den Straßenecken angesichts der einrückenden Truppen, als wäre das ein ganz alltägliches Ereignis.

Ich hatte schon lange, bevor ich Belsen besucht hatte, festgestellt, daß der durchschnittliche Deutsche wenig menschliche Gefühle zeigt. Es war für mich so selbstverständlich geworden, sie so kriecherisch zu sehen, wenn die „Nemesis“ über sie kam, daß einem Bremen einfach den Atem nahm. Nicht ein einziger, den ich ansprach, versuchte mir in einem Gespinst von Lügen vorzugaukeln, dankbar für die Befreiung zu sein.

Aber viele hatten sich standhaft geweigert, an eine deutsche Niederlage zu glauben bis wir Bremen erreichten. Und einige glaubten immer noch, daß etwas passiere, um Deutschland zu retten. Sie sagten das ganz offen.

Ich fragte eine Gruppe deutscher Frauen, die vor dem Eingang eines Luftschutzbunkers tratschten, ob sie und die Bremer Bevölkerung wirklich noch an einen deutschen Sieg geglaubt hätten, und dies nach unseren Bombenangriffen, nach Stalingrad, nach der Befreiung von Paris und Brüssel, nach dem Übergang über den Rhein und nach der Einnahme von mehr als der Hälfte Deutschlands. Und sie antworteten: „Wir hörten die Nachrichten im Radio, aber wir hatten immer noch Hoffnung, bis Sie kamen.“ „Und jetzt?“ fragte ich. Sie zuckten nur mit den Schultern, als ob sie sagen wollten: „Ihr habt uns seelisch noch nicht gebrochen, aber es wäre nicht vernüftig, Ihnen das ins Gesicht zu sagen.“

Sie können sich jetzt eine Vorstellung davon machen, wie fanatisch diese Leute sind. Es sind die ordinärsten und hochnäsigsten Deutschen, denen ich begegnet bin.

Möglicherweise ist der Grund für ihr Verhalten ganz einfach zu erklären: Sie haben in ihrer Stadt auch unsere Bombenangriffe mitgemacht, aber sie haben nicht die gleiche Feuerprobe bestanden, wie sie die Deutschen in anderen Städten durchgemacht haben.

Unsere Bombardierung Bremens war perfekt, aber die Bremer Luftschutzbunker sind es gleichermaßen gewesen. Einige unterirdische sind durch 20 Fuß dicken Beton geschützt. Andere, turmhoch, waren aus so dickem Beton gebaut, daß nur ein direkter Treffer irgend einen Schaden hätte ausrichten können. Erst wenn man in die Innenstadt und in das Hafengebiet geht, kann man die großartige Arbeit richtig würdigen, die „Bomber Harris“ und seine Jungs geleistet haben.

Ein perfektes Beispiel

Bremen sollte in die Geschichte als das Beispiel einer perfekt geplanten Bombardierung eingehen. Nehmen wir zuerst die Vorstädte. Wenn man dorthin kommt, hängen sogar noch die Gardinen an den Fenstern.

Und plötzlich sieht man ein gewaltiges Gewirr von verbogenen Trägern und zersprengtem Beton: Eine Flugzeug- oder Panzerfabrik stand einmal hier. Die Deutschen hatten diese Fabriken geschickt in den malerischen Vorstädten versteckt. Aber das hinderte die Royal Air Force nicht daran, sie herauszupicken.

Sie verlassen die Vorstädte und kommen in die Innenstadt: Einige Geschäfte in der Nähe des Rathauses dieser alten Stadt sind mehr oder weniger davongekommen, aber der Rest ist gut und gerne, so kann man sagen, vernichtet worden.

Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche Schäden in den Häfen entstanden sind. Viele Schiffe sind gekentert und die Hafenbecken wurden vermint. Wir werden sie räumen. Und wir werden Bremen wenn nicht während des Krieges, dann später benutzen, um die Truppen, die das „Reich“ besetzen werden, zu versorgen.