Dantes Gemischtwareninferno

■ Neu im Kino: „Clerks – Die Ladenhüter

Die Welt ist ein Gemischtwarenladen – mit einem Videoverleih gleich nebenan ! Zumindest in diesem kleinen, wunderschön dreckigen Debütfilm ist alles in zwei Läden und auf dem Gehsteig direkt davor möglich. Dante Hicks arbeitet hier einen Tag lang, aber viel mehr als hinter der Ladentheke hätte er im Inferno seines Namensvetters auch nicht ausstehen müßen: Liebe, Tod, Freundschaft und absolut hirnrissige Kundenwünsche machen den Tag für ihn zur Tortur und für uns Zuschauer zu 90 der witzigsten Filmminuten dieser Filmsaison.

Immer mal wieder gibt es im Kino solche kleinen Wunder: Alle Welt klagt, wie teuer das Filmemachen ist und daß man mit einem Budget von weniger als einer Million kaum noch eine Fliege auf der Fensterscheibe abfilmen kann, und dann kommt da solch ein frecher Filmfanatiker, verkauft seine Comic-Hefte-Sammlung, fängt mit dem Erlös von 27000 Dollars einfach an zu drehen und macht mit nichts weiter als seinem Talent einen Film, der beweist, daß Witz und erzählerische Kraft im Kino immer noch schwerer wiegen als teuere Stars, Ausstattungen oder Special Effects. Kevin Smith heißt dieser neue Star des unabhängigen Kinos – und man weiß kaum, was man bei ihm mehr bewundern soll – sein an den Screwballklassikern geschultes, genau auf den Witz zugeschnittes Timinig oder seine zumindest ebenso kreative Sparsamkeit. Wenn er gerade nicht drehte, jobbte er in dem Gemischtladen als Verkäufer, geschnitten wurde direkt am Drehort in dem Videoladen und Freunde fanden sich plötzlich vor der Kamera in Hauptrollen wieder.

Natürlich merkt man dem Film an, daß er durch den Verkauf von Äpfeln und Eiern finanziert wurde: Aber durch das Tonbandrauschen des Originaltons oder die sehr gewagten Lichtwechsel während der Szenen gewinnt der Film nur noch, und der Zuschauer hofft schließlich nicht nur, daß Dante halbwegs heil aus seiner höllischen Tagesschicht herauskommt, sondern auch, daß der Film es auf Biegen und Brechen bis zum Abspann schafft.

Einige deutsche Zuschauer werden bei der Originalfassung mit Untertiteln einige neue Vokabeln lernen, die in keinem anständigen Wörterbuch stehen. Aber auch die fürs puritanische Amerika gewagten sexuellen Abenteuerlichkeiten sind nie dumpf oder anzüglich, denn hinter all den coolen Sprüchen und bizarren Vorkommnissen zeigt Smith das präzise und liebevolle Portrait einer Gruppe von Taugenichtsen, für die ein schäbiger, kleiner Shop tatsächlich das Zentrum des Universums ist. Einkaufen sollte man in diesem Laden möglichst nicht – ein Kunde wurde bespuckt, ein anderer hat es nicht überlebt –, aber vom sicheren Kinosessel aus bietet er ein sehr unterhaltsames Inferno.

Wilfried Hippen

Cinema tägl. 21 Uhr