Erst vollfressen, dann den Hitzetod sterben

■ Wer frißt eigentlich unseren Biomüll? Mikroben-Teams. Zu Gast im Kompostreaktor. Bislang bringt der Kompost-Verkauf nur 30 Prozent der Kosten ein, doch bald soll Bremer Kompost gegen die Düngemittelindustrie anstinken

Appetitlich sieht die Bremer Kompostierungsanlage von außen aus – ein weißer Reaktor in postmodernem Stil mit Spitzgiebel. Doch drinnen stinkt es. Nicht süß und modrig, sondern scharf. „Das ist Ammoniak“, sagt Joachim Lossau, der bei den Bremer Entsorgungsbetrieben zuständig ist für die Abfallbehandlungsanlagen. „Ammoniak ist ein Zwischen-Produkt des Stoffwechsels der Mikroben“. Mit anderen Worten: Mikrobenscheiße.

Mikroben nämlich sind die Hauptakteure bei der Kompostierung. Der Müll muß gar nicht erst mit Mikroben geimpft werden, sie sind eh schon drin. Die unterschiedlichsten Stämme mit den unterschiedlichsten Charakteren: Die einen fressen am besten bei 35 Grad, die anderen bei 60, und ein paar wenige Stämme stehen auch noch 80 Grad durch. Ein Komposthaufen wird nämlich heiß. Wer zuerst gefressen hat, stirbt dann auch zuerst.

Die riesigen Haufen im Reaktor dampfen. Dabei wird gar keine Wärme zugeführt, nur gelegentlich Wasser. „Das ist derselbe Effekt, warum wir einen warmen Körper haben“, weiß Lossau. Die Mikroben fressen und gewinnen dadurch Energie, mehr als sie brauchen können, sie geben Wärme ab, also dampft der nasse Biomüll.

Für die Mikroben ist Teamarbeit angesagt, sonst kriegen sie die feucht-faserige Mischung aus Orangenschalen, Kaffeefiltern und beigemengtem Strauchwerk nicht klein. Die Pilze knacken mit ihren Fäden zum Beispiel Holzteilchen auf, bis nur noch Zucker übrigbleibt, auf den springen dann wiederum die Bakterien an. Damit das nicht Monate dauert wie in der heimischen Kompostierung, sondern nur rund 30 Tage, hilft die BEB ein bißchen nach: Eine riesige Schaufel wandert an einem Kran über die Bioberge und wendet Tag und Nacht und vollautomatisch die Abfälle. So kommt mehr Sauerstoff in den Müll, das feuert die Mikroben an. Und immer neue Seiten der Orangenschale werden den Fressern zugewandt.

„Eigentlich machen wir hier nichts anderes als die Natur auch, wie ein Waldboden eben“, sagt der Biologe Torsten Gefken, der, von den dampfenden Haufen durch eine dicke Scheibe abgetrennt, die Probephase der neuen Anlage wissenschaftlich begleitet. „Aber wir optimieren die Bedingungen für die Mikroben.“ So wird gewendet um und um, berieselt und vor allem vorher gemischt: Ist der Biomüll zu naß (wer hat da wieder seine Teebeutel nicht abtropfen lassen?), werden Gartenabfälle beigemischt. Optimale Feuchte: 50 Prozent Wasseranteil.

Braun sind die Haufen, durch und durch braun. Sortieren die BremerInnen so ordentlich? Nein, in den Biotonnen finden sich 10-20 Prozent Störstoffe: Staubsaugertüten, Saucen, Schrankbretter, Reinigungsmittel zum Beispiel. Derzeit noch werden per Hand ganze Meter vom Band Sortierband runtergeschoben, im Juli soll die von der Bremer Hochschule entwickelte halbautomatische Vorsortierungsanlage mit gesteuertem Abwurfpaddel in Betrieb gehen. Auch der fertige Kompost wird nochmal gereinigt: per Metallabscheider und Sieb. Auf den Sieben bleiben dann zum Beispiel die abgenagten Knochen liegen.

Sind die Mikroben satt, ist der Biomüll um die Hälfte geschrumpft. In Bremen gewinnt man also aus dem Biomüll rund 5.000 Tonnen pro Jahr. Bestehend aus organischen und mineralischen Anteilen: Stickstoff, Phosphor und Kalium. Beste Pflanzennahrung. Der Bremer Kompost gilt als Qualitätskompost – jedenfalls entsprechend den Richtlinien der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall. Sicher, mit gewissen Anteilen von Zink und Kupfer, eben Schwermetallen – aber die seien ja auch im Boden, sagt die BEB. In Landwirtschaft (Kohlköpfe!) und Gartenbau (Rosen!) könne der Biomüll-Kompost problemlos eingesetzt werden.

Verkauft wird im Moment alles, aber noch werfen ja auch längst nicht alle BremerInnen ihre Bioabfälle in die braune Tonne. Also sucht die BEB neue Abnehmer. Heißersehntes Ziel: auf dem Düngemittelmarkt Fuß zu fassen. Dort tummeln sich bislang fast ausschließlich die chemische Dünger-Industrie. Aber auch der Bremer Kompost ließe sich ganz prima weiterverarbeiten zu einem Dünge-Granulat und böte dann den Böden nicht nur mehr Nährstoffe als zum Beispiel das klassiche „Blaukorn“, sondern auch Organisches zur Bodenverbesserung. Am Granlulat experimentiert man derzeit noch herum. Auch die Großkunden-Vermarktung steht noch nicht ganz, ist eh ausgelagert an eine Privatfirma. „Beamtenmäßig können wir das noch nicht erledigen, noch nicht“, sagt Lossau.

Verlangen könnte man für eine Tonne Kompost-Granulat bis zu 500 Mark, derzeit erreicht die BEB nur Preise bis zu 200 Mark. Während die BEB noch um die Bauernschaft wirbt, hat sie im Ausland durchaus schon Erfolg: Saudi-Arabien verlangt nach Bremer Kompost-Produkten. Wieviel die Araber für die Tonne aus Bremen gezahlt haben, will Joachim Lossau allerdings nicht sagen. Die Konkurrenz, die Torfindustrie, hat große Ohren. „Da müssen wir ja vielleicht auch noch mal unter den Gürtel schlagen.“

Die Kompostierung trägt sich jedenfalls noch lange nicht. Eine Tonne Biomüll zu behandeln, kostet 260 Mark. Zur Zeit müssen diese Kosten zu 70 Prozent von den BürgerInnen über die Müllgebühren bezahlt werden, nur 30 Prozent kommen über den Verkauf rein. „Aber“, verteidigt Pressesprecher Alexander Vedder die BEB, „unser eigentlicher Auftrag ist ja auch die Abfallbehabdlung. Kein anderer Produzent würde seinen Rohstoff an 100.000 Stellen in der Stadt abholen. Das sind aber unsere Rahmenbedingungen.“ cis