■ Ein Mann, der wie ein Mann zu seinem Reaktor steht: Realsatire, gar nicht lustig
Nun also wieder Probebetrieb in Obrigheim. Nach 27 Jahren und bis auf weiteres. Zugegeben, es reizt schon, die Genehmigungshistorie des ältesten kommerziellen Atomkraftwerks im Lande als Realsatire abzuhandeln. Und Harald B. Schäfer, den Rambo unter den vereinigten sozialdemokratischen Atomgegnern, gleich mit.
Zweieinhalb Jahre immerhin durfte der Reaktor seit 1992 im Dauerbetrieb Strom liefern, infolge einer konzertierten intellektuellen Glanzleistung der höchsten Verwaltungsrichter Berlins und der ministeriellen Doppelspitze Schäfer/Spöri in Stuttgart. Die Richter hatten 1991 messerscharf erkannt, daß das deutsche Atomrecht eine befristete Betriebsgenehmigung bei Atomkraftwerken nicht vorsieht, auch keine befristete Genehmigung für den „Anfahr- und Probebetrieb“. Der kann deshalb, so der Tenor des Richterspruchs, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weitergehen. Jedenfalls solange es keiner merkt. (In Obrigheim merkten es die Grünen nach 20 Jahren.) Womöglich reicht künftig ja auch die Genehmigung zum Aushub der Baugrube für das Reaktorgebäude. Das würde allen Seiten viel Zeit, Mühe und Geld sparen.
Harald B. Schäfer erteilte 1992 die Dauerbetriebsgenehmigung, allerdings nur auf Widerruf, angereichert mit einer Latte von Auflagen. In der Praxis bedeutet des Ministers „sicherheitsorientierte Aufsicht“: Es gibt massive Sicherheitsbedenken. Die müssen ausgeräumt werden – und so lange läuft der Meiler weiter. Was heißt so lange? – Die Betreiber haben die geforderten Nachweise, 15 Monate nachdem die Frist abgelaufen ist, nicht geliefert. Schäfer beaufsichtigt weiter, „sicherheitsorientiert“ und ganz offensichtlich an der Nase herumgeführt vom beamteten Sumpf im eigenen Hause. Das ist der Punkt, an dem die Realsatire sehr real und weniger lustig wird.
Der Obrigheimer Reaktor ist ein Unikat in der deutschen Atomlandschaft. Er ist es insofern, als niemand, buchstäblich niemand, den aktuellen Zustand des versprödeten Reaktordruckbehälters kennt. Weder der Kraftwerksdirektor kennt ihn noch der Minister, noch die Gutachter, die sich aber Sorgen machen. Wir machen uns auch Sorgen. Die Betreiber übrigens auch: Sie rechnen permanent nach, wie viele Kilowattstunden und wie viele Millionen mit der alten Mühle noch zu produzieren sind, wenn das Ende ein halbes oder ganzes Jahr verschoben werden kann. Kein Mensch weiß, ob der Druckbehälter nach einem schweren Störfall, wenn plötzlich kaltes Notkühlwasser in den Kern gepumpt wird, nicht wie splitterndes Porzellan auseinanderfliegt. Nie war es in diesem Lande so zwingend und nie so risikolos, einen Atommeiler abzuschalten. Und was tut Harald B. Schäfer? Er geht in die Revision. Rechtsklarheit schaffen. Nur weiter so. Wir werden erleben, wer zuerst stilliegt: der Reaktor oder der Minister. Gerd Rosenkranz
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