Gar keine Leidenschaft

Zum Ende des französischen Präsidentschaftswahlkampfes doch noch ein Links-rechts-Duell  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Eine Woche vor dem ersten Durchgang in der Präsidentschaftswahl sind Frankreichs Mauern immer noch unberührt. Im Straßenbild fällt kaum auf, daß sich sieben Männer und zwei Frauen im Endspurt um den Elyseé-Palast befinden. Ihre Konterfeis sind kaum plakatiert, Flugblätter gibt es fast gar nicht, und politische Slogans, die über das allen KandidatInnen gemeinsame Bekenntnis zu Frankreich hinausgehen, muß man mit der Lupe suchen. Die KandidatInnen führen ihren Wahlkampf bei Veranstaltungen hinter geschlossenen Türen und – vor allem – im Fernsehen.

Nichts erinnert mehr an die hitzigen Debatten, die der ersten Wahl des Sozialisten François Mitterrand vor 14 Jahren vorausgingen. Nicht die tödlichen Schüsse von Plakateklebern der rechtsextremen Front National auf einen jungen Mann in Marseille vor einigen Wochen, nicht die hilflosen Zahlenspiele der Kandidaten gegen die Massenarbeitslosigkeit und auch nicht das Auftauchen des ominösen Kandidaten Nummer neun, Jacques Cheminade vom französischen Pendant der „Europäischen Arbeiterpartei“ – gar nichts sorgt in diesem Wahlkampf für Leidenschaft.

Daß die Sozialisten nach 14 Jahren Mitterrand nicht den neuen Präsidenten stellen werden, gilt den meisten Franzosen als ausgemachte Sache – spätestens seit sich der Ex-Präsident der Europäischen Union, Jacques Delors, weigerte, für die Sozialisten zu kandidieren. Die Wahl geriet damit zur innerrechten – beziehungsweise inner-gaullistischen – Auseinandersetzung zwischen Edouard Balladur und Jacques Chirac. Zum Kampf zwischen zwei Männern in den Sechzigern, die seit dem Anfang ihrer politschen Karrieren stets am selben politischen Strang gezogen haben und sich vor allem in ihrer persönlichen Ausstrahlung unterscheiden. Der eine – Balladur – glänzt durch ein vornehmes Phlegma, während der andere jovial und kämpferisch ist. Die „Wahl“ zwischen ihnen lockt niemanden hinter dem Ofen hervor. Selbst wenn nach Monaten, in denen es so aussah, als sei Premierminister Balladur der „natürliche Präsident“ für die nächsten sieben Jahre, im März sein innerparteilicher Konkurrent Chirac in den Meinungsumfragen aufholte und derzeit klar auf Platz eins steht.

Seit einigen Tagen allerdings weisen die Demoskopen immer nachdrücklicher auf den dritten Mann hin, dem noch vor kurzem niemand eine zentrale Rolle in diesem Wahlkampf zugetraut hätte: Der Sozialist Lionel Jospin. Wenn die Vorhersagen stimmen, könnte er doch noch den Einzug in den zweiten Wahlgang schaffen. Die altbewährte Konstellation eines Zweikampfes rechts gegen links wäre gerettet, und Chirac hätte keine Chance mehr, die linken Wähler für sich zu vereinnahmen.

Für den Wählerentscheid für Jospin im letzten Moment spricht nicht so sehr seine türkise Wahlkampffarbe (Balladur macht es lachsrosa und Chirac strahlend blau), sondern vor allem die Diskussion über die „nützliche Wahl“. Nur eine Stimme für Jospin, so das immer weiter verbreitete Argument, könne verhindern, daß sich im zweiten Wahlgang zwei Konservative gegenüberstehen. Der Kandidat selbst wehrt sich naturgemäß gegen die „nützliche Wahl“ – sein Programm allein sei Grund genug, ihn zu wählen.

Jospins Genossen allerdings sind anderer Ansicht. Hinter vorgehaltener Hand kritisieren sie dessen Wahlkampf als „rückwärtsgewandt“ und wenig mitreißend. Und gar ohne Jospin zu fragen, bat der sozialistische Parteichef Henri Emmanuelli in dieser Woche den scheidenden Präsidenten François Mitterrand um ein Eingreifen in den Wahlkampf. Mitterrand, der sich fast nur noch mit der Verwaltung seines politischen und literarischen Nachlasses befaßt, soll Jospin ein wenig unterstützen.