Ein paar Großlager sind unauffälliger

Geheimdienstpapiere beweisen, daß die Regierung in Belgrad die „ethnischen Säuberungen“ in den serbisch besetzten Gebieten geplant hat – der Westen weiß das seit Monaten  ■ Aus Wien Karl Gersuny

Wie erst am Donnerstag bekannt wurde, liegen dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag bereits seit Oktober des vergangenen Jahres geheime serbische Einsatzpläne zur Kriegsführung in Bosnien vor. Der jugoslawische Geheimdienstoffizier Svjetomir Mihailović – das berichtet die New York Times – habe detailliertes Material aus Belgrad in den Westen geschmuggelt, aus dem eindeutig hervorgehe, daß Serbiens allmächtiger Präsident Slobodan Milošević die sogenannten „ethnischen Säuberungen“ in Bosnien und Kroatien eigenhändig angeordnet habe.

Durch Pogrome an Zivilisten, so Mihailović, sollten die kroatischen Bauern in Ostslawonien und die moslemische Bevölkerung Nord- und Ostbosniens in die Flucht gedrängt und ihr Widerstand gegen die jugoslawische Volksarmee gebrochen werden. So habe der jugoslawische Geheimdienst SDB am 24. Mai 1992 auf Anweisung von Milošević ein Strategiepapier verfaßt, wie die bosnische Serbenarmee bei ihrem Vorrücken auf die Großstadt Banja Luka mit Gefangenen umzugehen habe. Mit eingeplant: die Inhaftierung von Zivilisten in große Gefangenenlager. Das sei unauffälliger, als die Gefangenen übers weite Land zu verteilen. Nur zwei oder drei geheime und besonders scharf bewachte Internierungslager sollten aufgebaut, die Hunderte kleineren Gefangenenlager und Gefängnisse geschlossen werden.

Glaubt man den Aussagen des 46jährigen Überläufers Mihailović, so war Milošević genauestens informiert, mit welchen brutalen Methoden die bosnischen und kroatischen Serben bei ihren Eroberungsfeldzügen vorgingen. Aus den von ihm nach Holland geschmuggelten Dokumenten soll hervorgehen, daß der serbische Präsident an seinen bosnischen Statthalter Radovan Karadžić den Vorschlag richtete, moslemische Würdenträger und hochrangige Politiker bei einer Gefangennahme an den berüchtigten Freischärlerführer Zeljko Raznajtović Arkan und dessen Tiger-Brigade auszuliefern.

Dieser habe im ostslawonischen Erdut ein besonders gefürchtetes Internierungslager aufgebaut – und dort schrecke man auch nicht vor „einzelnen Hinrichtungen“ zurück. Wie zu erwarten, gab es bis gestern zu den Enthüllungen der New York Times noch keine offizielle Reaktion aus Belgrad. Nur die kleine oppositionelle Tageszeitung Nasa Borba übernahm die Aussagen des Überläufers Mihailović und kommentierte in scharfer Form das Schweigen des Westens zu den Anschuldigungen des Ex- Geheimdienst-Majors.

Warum wurden diese Dokumente erst ein halbes Jahr nach dem Übertritt Mihailovićs in den holländischen Geheimdienst bekannt, fragt Nasa Borba. Weshalb beteuerten die internationale Kontaktgruppe und deren Friedensvermittler in den vergangenen Monaten immer wieder, vor allem Milošević sei an einem Frieden in Bosnien interessiert, nur gelinge es ihm leider nicht, auch den eigenwilligen bosnischen Serbenführer Karadžić davon zu überzeugen? Auch sei Milošević machtlos, dem Treiben von Freischärlertruppen wie der Tiger-Brigade Einhalt zu gebieten, hieß es immer wieder aus den westlichen Hauptstädten.

So verwundert es kaum, daß bis gestern auch keiner der unzähligen selbsternannten internationalen Friedensvermittler zu dem New York Times-Bericht Stellung bezog. Denn sollte sich auch nur ein Teil der Anschuldigungen als wahr herausstellen, werden sich auch ein Klaus Kinkel und ein Alain Juppé fragen müssen, was sie mit ihrer regen Reisediplomatie in den vergangenen Monaten eigentlich bezwecken wollten.