: Seit Jahren wächst entgegen ökologischen Lippenbekenntnissen der Marktanteil des in Dosen vertriebenen Biers. Ganz besonders alarmierend: Jetzt melden sogar traditionalistische Bierländer wie Bayern sprunghafte Alu-Zuwachsraten. Sogar Spartenbiere wie Hefeweizen werden immer häufiger in Dosen abgefüllt. KennerInnen sind entsetzt Von Klaus Wittmann
Bald müssen sie's aus Dosen trinken
Erinnern wir uns: Am 16. November 1990 verkündete die Dortmunder Union-Brauerei AG, sie würde als eine der bedeutendsten deutschen Brauereien einen Akzent für die Zukunft setzen. „Verzicht auf die Dose“ war die Presseinformation des Bier-Giganten überschrieben. Dann wurde nachdrücklich versichert: „Die Dortmunder Union-Brauerei und die Dortmunder Ritterbrauerei zählen zu den ersten bedeutenden Brauereien der Bundesrepublik, die auf die Dose in ihrer Angebotspalette verzichten; damit auch bewußt auf erhebliche Hektolitermengen sowie Umsatz und Ertrag.“ Und weiter war da zu lesen: „Wir sehen zwischen Ökonomie und Ökologie keinen Widerspruch. Umwelt ist nicht zum Nulltarif erhältlich.“
Schöne Worte, von denen viereinhalb Jahre später nichts mehr geblieben ist. Denn als ein bayerischer Abgeordneter dieser Tage nachfragte, wieso jetzt plötzlich Bier aus dem umweltfreundlichen Hause (die Marke Brinkhoff's Nr.1) doch in Dosen auf den Markt kommt, hieß es aus Dortmund nur lapidar: „1994 war für Brinkhoff's Nr.1 wieder ein erfolgreiches Jahr. [...] Der Handel will erfolgreiche Produkte in der gesamten Sortimentsbreite anbieten. Dazu gehören nun einmal Dosen und seit dem 1. Februar 1995 die 0,5 l Dose Brinkhoff's Nr. 1, selbstverständlich mit dem grünen Punkt.“ Und dann wird tatsächlich noch auf die Umweltfreundlichkeit des Materials verwiesen.
Die Dortmunder sind kein Einzelfall. Fast fünf Milliarden Blech- und Alubüchsen überschwemmen mittlerweile alljährlich diese Republik. Ein Ende ist nicht abzusehen. Schließlich liegt die BRD statistisch noch immer bei „nur“ 60 Getränkedosen pro Jahr und Bewohner. Die Amerikaner sind da schon weiter – nämlich bei stolzen 400, und so ist die Dosenindustrie bester Hoffnung! Was kümmert es die Alu- und Blech-Bosse, daß eine einzige Mehrwegflasche vierzig bis sechzig Dosen ersetzen könnte. Was kümmert es sie, daß politische Außenseiter wie der sächsische Umweltminister ein Zwangspfand auf die Büchsen fordern, wenn die Großen der Branche dem Trend so konsequent folgen.
Und sogar die Bayern, die selbsternannten Hüter aller Bierseligkeit, quetschen ihr Allerheiligstes in Dosen, zwar nicht immer, aber immer öfter.
Ganz heimlich, still und leise ist der Bierriese „Paulaner“ in eine neue Dosenoffensive gestartet. Im März erhielten Getränkefachhändler einen Rundbrief, in welchem ein neuer Bier-Hit aus München angepriesen wird: „Als zusätzlicher Ertragsbringer in Ihrem Sortiment ist ab dem 1. 4. 95 das Paulaner Weißbier dunkel auch in der Dose zu erhalten.“ 2,28 Millionen Hektoliter Bier setzte Paulaner im Geschäftsjahr 1994 ab. Trendsetter ist dabei das Weißbier, auch Hefeweizen genannt. 653.000 Hektoliter wurden davon verkauft. Das ist mehr als die zehnfache Menge, die eine durchschnittliche bayerische Brauerei insgesamt jährlich ausstößt.
Ebenfalls voll auf die Dose setzt die Paulaner-Konkurrenz, Löwenbräu. Das Finanzdesaster – 22,4 Millionen Miese im letzten Jahr – soll unter anderem durch die Dose gemildert werden. Überhaupt verkauft Löwenbräu zwischenzeitlich bereits rund ein Drittel des Biers, das direkt an Kunden geht, in Einweggebinden. Weil an Tankstellen und Kiosken immer mehr Bier verkauft werde und dort die Dosen die einzig denkbare Gebindeart seien, wolle man künftig noch mehr auf die Dose setzen. Welch ein Zufall, daß der Hauptaktionär von Löwenbräu, die Familie des Barons August von Finck, gleichzeitig auch Großaktionär des Stromkonzerns Isar-Amper- Werke ist und daß nun mal Dosenhersteller heißgeliebte Kunden von Energiekonzernen sind.
Dabei schüttelt es den wahren Bierfreund (siehe Interview), wenn er sein geliebtes Weizen, Pils oder Export aus der Dose schlürfen soll. Schließlich muß vor dieser Art von Verfüllung der Weizen- oder Gerstensaft erst einmal kräftig erhitzt, sprich: pasteurisiert werden. „Ein künstlicher Alterungsprozeß, der nun mal den Geschmack verändert“, wie der Getränkefachhändler Jürgen Orth aus Oettingen in Nordschwaben findet. Mit vielen seiner Berufskollegen ist Orth sich einig, dem Boom zu trotzen und auch weiterhin die Dose aus den Regalen zu verbannen. Leicht wird ihnen das nicht gemacht, ist doch sogar bei der Preispolitik der Brauereien recht deutlich ein Dosenpreis- Dumping auszumachen. Am Beispiel der zu Tucher gehörenden Greizer-Brauerei wird dies deutlich. In einem Rundschreiben wird darauf hingewiesen, daß die allgemeine Kostenentwicklung leider eine Bierpreiserhöhung erforderlich mache. Bemerkenswert allerdings, daß dies nur für Flaschenbier gilt. „Der Abgabepreis für Dosenbier bleibt unverändert.“ Jürgen Orth weiß, daß ein Mitmachen beim Dosenboom mittelfristig das Ende des Getränkeabholmarktes zu Folge hätte. Denn so günstig wie die großen Discounter können er und seine Kollegen allein schon wegen der aufwendigen Lagerhaltung und des Mehrweghandlings gar nicht anbieten.
Wenn Billigläden wie Aldi Dosenbier zu Schleuderpreisen verkaufen, ist weder dem qualitätsbewußten Brauer noch dem an sich vorbildlichen Mehrweggedanken geholfen. Rund eine Million Bierdosen pro Tag allein bei Aldi sprechen eine eigene Sprache. Kein Wunder, daß der Deutsche Brauerbund ein weiteres dramatisches Brauereisterben befürchtet. Allein in Bayern ging die Zahl der Braustätten von 1.566 (1960) auf unter 700 (1994) zurück.
Als besorgniserregend hat bei einer Getränkehändler-Fachtagung in Berlin Verbandsgeschäftsführer Heinz E. Graffmann dieser Tage den Dosentrend bezeichnet. Um 40 Prozent habe die Halbliterdose allein im vergangenen Jahr zugelegt (siehe Kasten).
Doch womöglich ist noch nicht endgültig Hopfen und Malz verloren. Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung hat nämlich herausgefunden, daß sich 80 Prozent der deutschen Haushalte, überraschenderweise in Ost und West gleichermaßen, für mehr Mehrwegflaschen ausgesprochen haben. Den Verbraucher und die kleinen und mittelständischen Brauereien hat auch der bayerische Landtagsabgeordnete Raimund Kamm von Bündnis 90/Die Grünen als Verbündete ausgemacht. Seit Jahren bombardiert er die bayerische Staatsregierung mit Dosenbier-Anfragen. Jüngst sah sich daraufhin sogar der bayerische Umweltminister Thomas Goppel genötigt, die Gefahr durch Bierdosen für kleine und mittlere Brauereien zu thematisieren. Die schwäbischen Brauereien haben sich ebenfalls aufgerafft und für nächste Woche zum Tag des Bieres zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Pro Mehrweg – Kontra Einweg“ geladen. 479 Jahre nach Verkündung des bayerischen Reinheitsgebotes von 1516 soll deutlich gemacht werden, daß Einweg eine Sackgasse ist. Mit am Podium sitzt, neben einem CSU- Kommunalpolitiker und einem CSU-Abgeordneten, auch der Vorsitzende der schwäbischen Brauereien, Jochen Kesselschläger, von der Memminger B&E- Brauerei, der versichert, die kleinen und mittelständischen Brauer stünden „geschlossen gegen die Dose“. Nur ungern bestätigt er, daß auch seine Brauerei (Jahresausstoß 250.000 Hektoliter) sich schon mal vorsorglich nach einer gebrauchten Dosenabfüllanlage umgesehen hat. Falls die Politik nicht endlich etwas unternehme, um den Dosenboom zu stoppen, seien auch die kleineren und mittleren Bierbrauer gezwungen, ebenfalls über eine Dosenbierabfüllung nachzudenken.
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