Lesum-Siedler: ,Das darf nicht scheitern'

■ Keine Euphorie bei Ex-Weidedämmlern: Die Stadt verzögert Wasser- und Stromanschluß

Ein Idyll auf den ersten Blick: eine weite Wiese mit frisch gepflanzten Apfelbäumen und Osterglocken, vor den bunten Bauwagen junge Leute beim Frühstück, manche barfuß. Ein zufriedenes Baby wird von Schoß zu Schoß gereicht. Doch die neuen SiedlerInnen auf dem ehemaligen Friedhofs-Vorratsgelände in Lesum haben mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Schwierigkeiten, die die Ex-WeidedämmlerInnen nicht selbst zu verantworten haben.

Eigentlich hatte die Stadt für Mitte Februar Wasser- und Stromanschluß sowie Abwassergruben zugesichert. Mittlerweile ist die Hälfte des Parzellengebietes am Weidedamm gerodet, doch das Ausweichgelände in Lesum ist immer noch ohne jeden Anschluß. Das bestätigte auf Anfrage auch ein Sprecher der Gewoba. Die bisher umgezogenen 15 Menschen, insgesamt werden 50 hier wohnen, behelfen sich notdürftig mit Regenwasser und einer Grundwasserpumpe.

Eine weitere Enttäuschung erwartete die SiedlerInnen, als sie den Boden umgruben: Kaum eine Spatentiefe Erde, darunter drei Meter Sand. Das Gelände ist, als es vor vielen Jahren für den Friedhof angelegt wurde, mit Sand aufgefüllt worden. Wie soll darin Gemüse wachsen, ganz zu schweigen von all den vom Weidedamm mitgebrachten Pflanzen? Hochwillkommen wären ein paar Lkw voller Mutterboden. Doch dazu sei die Stadt nicht zu bewegen, sagen die SiedlerInnen. „Die wollten uns nur raushaben aus der Stadt, jetzt interessiert es sie nicht mehr, was mit uns wird.“

Die Stadt jedoch wähnt sich aus dem Schneider: Zwar werden die SiedlerInnen mit 1.50 DM pro Quadratmeter und Jahr etwa viermal soviel Pacht wie andere ParzellistInnen zahlen, doch dafür stelle man ja auch die Infrakstruktur. Die vom Weidedamm Vertriebenen verlangen jedoch keine niedrigere Pacht, sondern eine gewisse Unterstützung für ihr ökologisches Projekt. Schließlich kostete der Umzug schon einiges – sei es, daß man gemeinsam einen Transporter kaufen mußte, sei es der Kies für die Hüttenfundamente oder der Bau eines Gemeinschaftshauses mit Waschraum und Infocafé. Geld bräuchte man aber vor allem für die ökologische Ausstattung: Windenergieanlagen und Solarzellen. „Fücks hat immer gesagt, Bremen brauche ein Ökoprojekt, aber eigentlich wollten die uns nur weghaben, damit sie auf dem Weidedamm bauen können“, sagt der Architekturstudent Alex.

Dabei ersparen die ParzellistInnen dem Staat nicht wenige Ausgaben, sagt der gelernte Heizungsbauer Klaus Möhle und macht folgende Rechnung auf: Sehr viele der SiedlerInnen hätten eigentlich Anspruch auf eine Sozialwohnung. Sozialwohnungen fördere die Stadt mit jährlich rund 10.000 Mark pro Person. „Wir würden also nichts geschenkt kriegen.“

Abgesehen von der Geldmisere gibt es jedoch auch Lichtblicke: Das Verhältnis zu den LesumerInnen entwickelt sich nicht schlecht.Die Beiratssitzungen im Vorfeld des Umzugs hatten noch Schlimmstes befürchten lassen: Da war zum Beispiel von einem „Zigeunerlager“ die Rede, von einer Horde von Kriminellen. „Jetzt aber merken sie: Die buddeln und pflanzen, und eigentlich sehen die Mädchen und Jungs ganz nett aus“, sagt Klaus Möhle. Manche hätten auch schon Pflanzen angeboten. Es gebe allerdings auch dreiste BesucherInnen, die auf dem Privatgelände rumstapfen mit der Videokamera und ihre Kinder hochheben, damit die in die Wohnwagen sehen können. Jüngst sei auch eine CDU-Gruppe zum Gaffen und Höhnen dagewesen. „Ihr fliegt hier eh wieder raus“, hätten die gerufen. Doch erstmal läuft der Vertrag fünf Jahre lang.

Die alternativen SiedlerInnen stehen unter Beobachtung. Und so fühlt Klaus Möhle einen ziemlichen Druck auf sich und dem Projekt: „Wenn das hier scheitert, braucht in Bremen nie wieder jemand zu kommen und einen Bauwagenplatz oder ähnliches zu wollen.“ Dieser Druck und die zermürbende Zeit zuletzt auf dem Weidedamm zwischen Baggern, Shreddern und Polizei dämpft die Euphorie ziemlich. Zumal das zugewiesene „Friedhofs“-Eck mit seinen 20.000 Quadratmetern wesentlich kleiner ist als der Weidedamm.

Scheitern könnte das ökologische und soziale Projekt an einigem: Werden sich alle an die Vorgaben des Vereins Grüner Weidedamm halten, zum Beispiel keine Autos auf dem Gelände zu reparieren? In Frankfurt mußte deswegen der Erdboden auf dem Gelände einer einstigen Wagenburg ausgetauscht werden. Werden sich alle daran halten, Müll und Abwässer ökologisch zu entsorgen?

Um das Projekt sozial nicht zu überfordern, beschloß das Plenum, zunächst jedem seine Scholle von je 300 Quadratmetern zuzuweisen. Damit die Verantwortlichkeit klar ist und nicht alle für alles zuständig sind. Prompt pflanzten viele erstmal entlang ihrer Schollen-Grenzen Büsche und Bäumchen. „Naja“, sagt Klaus Möhle, grinst aber doch ein bißchen, „das dient auch als Sichtschutz, wir wollen ja nicht wie im Zoo leben“. Die Gemeinschaft müsse erst noch wachsen.

Müde sind sie nach dem Streß am Weidedamm. Erst allmählich kommen die Träume wieder: Jockel will ein Häuschen mit Wänden aus Strohballen bauen. Wird sich zeigen, ob sie bei Sturm nicht wegfliegen, das sei aber eben eine schlagend billige und ökologische Lösung. Alex träumt von einer Bude, die von hinten wie ein Hügel aussieht und nur vorne Fenster hat, außerdem von einem Solar-Wärmespeicher, der die Sommerwärme bis in den Winter hält.

Und so in der Sonne sitzend fallen ihnen auch wieder die Gründe ein, warum sie in diesem Ödland siedeln. Karin, Mutter des siebenmonatigen Samuel: „Ich will einfach direkt in der Natur leben, das ist auch für die Kinder toll. Außerdem hab ich hier billiger was Eigenes, wo mir niemand sagt, was ich tun und lassen soll.“ Alex: „Hier kann ich experimentieren. Eine WG würde doch ein Öko-Klo gar nicht mitmachen.“ Klaus Möhle: „Man wohnt billiger so, muß also für sein Wohnen nicht so viel arbeiten, hat mehr Zeit für anderes.“ Sagt's und steht auf, um wieder auf seiner Scholle zu buddeln. cis