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Nachschlag

■ Jo Fabian und example dept. tanzen „Die Hawkingvariante“

Auf dem Weg dorthin war die Kirchenuhr viertel vor neun. Und ich dachte: verpaßt!, den Jo Fabian. Diese Sache mit der Sommerzeit, wo die Uhr vorrückt oder rückwärts läuft; die Stunde, die man verliert oder gewinnt. Aber die Kirche weiß natürlich nicht, wie spät es ist. Gerettet!, im ersten Rang des Hebbel-Theaters, Stammbühne der Avantgarde. Nun also Fabian mit seinem example dept., angeblich ein innovativer Rest der inoffiziellen DDR. Blick auf die Bühne: blau mit Teppich ausgelegt, vorn eine Figur, die halb versenkt über einem von unten erleuchteten Schachspiel sitzt – und eine böse Vorahnung, wie soll das funktionieren. Ein knallharter Bühnenbildirrtum: Um der Allegorie willen ist die Bühne nach vorn zum Publikum hin für ein systematisch choreographiertes Ensemble nicht bespielbar. Wenn das Schachspiel bleibt, ist die Truppe schon halb verloren.

Und das Schachspiel bleibt. Nicht besonders interessant, übrigens, was da jemand mit verbundenen Augen gegen sich selber spielt. Und was die dreizehn Akteure mit ein paar Gazewänden, Videoprojektion und Rundumbeschallung zum Thema Hawking zu sagen haben, weckt starke Wünsche, die Kirche habe mit ihrer Uhr recht gehabt. Es ist so gut wie nichts.

Ich hatte gelesen, Jo Fabian zitiere ironisch das Slow-motion- Theater von Robert Wilson; aber er ist über den gigantischen Surrealismus des Texaners kein Stück hinaus. Die Figuren sind festgelegt auf synchrone und asynchrone Abläufe, die – Postmoderne, ick hör' dir trapsen! – auf Demontage von Sinn hinauslaufen. Vorlage sind Texte von Hawking zu Wissenschaft, Zeit, Schwerkraft etc., die mit ein wenig Theaterironie (Apfel kauend, von Lärm übertönt, von Kalauern durchlöchert) unverständlich gemacht werden. Ausgerechnet Hawking – einer, den man versteht. Die tatsächlich für ein auf „Medien“ eingestelltes Tanztheater interessante Sache an Hawking findet keinerlei Interesse bei der Regie: seine fast totale Lähmung, seine rhetorisch unglaublich nach außen gerichtete Intelligenz, oder seine Beziehung zum Computer, über den er mit der Wissenschaftswelt kommuniziert. Statt dessen: ein Klamauk von Figuren mit Sonnenbrillen; die Frauen – Haare nach hinten gekämmt und zum Zopf gebunden – in aufwendig gemachten schweren langen roten Kleidern; die Männer in fast durchweg schlecht sitzenden schwarzen Anzügen. Schreiten, vorlesen und – man hat ja Schleef gesehen – staubsaugen. Am Ende eine Nummer mit hüpfenden Männern und sitzenden Frauen, zu unglaublich stupider Musik. Klingt manchmal wie Minimal, ist es aber nicht.

Mikrophone, die am Körper sitzen, geben natürlich dem Tanztheater viel Freiheit, eine Erzählung „von der Bühne“ mit äußeren Quellen zu verschränken. Fabian macht daraus ein brüchiges Amalgam. Auch sind die Stimmen seiner Leute nicht trainiert genug, um hereingeschleppte Alltagsbrocken von anderen Sprachebenen klar zu unterscheiden. So ist der Witz immer mal wieder umzingelt, aber kommt nicht heraus. Fabian sollte Wilson vergessen, aber eines von ihm lernen: jeden Schauspieler in seiner Sprache sprechen lassen. Schulenglisch ist etwas Gräßliches. Ulf Erdmann Ziegler

„Die Hawkingvariante“ im Hebbel-Theater wieder am 27., 28.5.

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