„Der harte Kern ist immer noch dabei“

■ Per Handy berichtet Willi van Ooyen vom hessischen Ostermarschkreis „live“ vom Frankfurter Römerberg über Motivationsschwierigkeiten bei den Friedensaktivisten

taz: Herr van Ooyen, verraten Sie uns, wie viele Menschen an Ostern für Frieden marschiert sind? Sie betreiben da ja eine Art Geheimhaltungspolitik.

Willi van Ooyen: Es geht immer wieder um die Debatte: Was sagen die Veranstalter, was sagt die Polizei? Da halten wir uns inzwischen raus. Wir sehen nur, daß flächendeckend Ostermärsche stattgefunden haben. Das halte ich für wichtiger, als die einzelnen Zahlen zu kultivieren.

Sie können aber doch nicht verheimlichen, daß immer weniger friedlich gesinnte Menschen an Ostern marschieren!

Das würde ich so auch nicht sagen. Ich sage, der harte Kern ist immer noch dabei. Der hält es nach wie vor für wichtig, an Ostern öffentlich kundzutun, daß man für Frieden und Abrüstung mehr tun muß, als darauf zu warten, was die Parlamentarier veranstalten.

Weshalb sind die Ostermärsche aus der Mode gekommen?

Sicher gibt es im Bewußtsein der Leute Zweifel: Was ändere ich jetzt ganz konkret, wenn ich mitmarschiere? Es ist nicht so wie in den sechziger Jahren, als die Menschen gegen den Vietnamkrieg auf die Straße demonstrieren gingen. Heute gibt es ja auch keinen Widerstand mehr gegen unsere inhaltlichen Forderungen, sondern eher Akzeptanz.

Die Zeiten haben sich schließlich geändert, und der kalte Krieg ist auch vorbei.

Natürlich. 1980 haben wir angefangen mit den ganzen Osterspaziergängen, wir haben uns ja nicht getraut, das Ostermarsch zu nennen. In Frankfurt etwa sind wir losmarschiert mit 30 Menschen. 1981 und 1982 gab es dann einen Anstieg in der ganzen Atom-Stationierungsfrage, diese Debatte hat Massen mobilisiert. Dies ist so nicht mehr der Fall. Die Bewegungen haben heute grundsätzlich wenig Mitglieder und können keine Verpflichtungserklärungen abgeben, warum man jetzt auf die Straße gehen muß. Die Menschen allerdings, die mir in den letzten Tagen begegnet sind, haben mir gesagt: „Ich find's gut, daß ihr das noch macht.“

Tröstet Sie das?

Nein, das ist kein Trost in dem Sinne, daß ich sage: Ich bin jetzt der Stellvertreter dieser Menschen. Aber ich will Ostern zeigen, daß wir eine andere Politik brauchen und andere Positionen.

Haben Ostermärsche einen nachweisbaren Effekt?

Den, daß die Ostermarschbewegung auch in diesem Jahr die Forderung wieder öffentlich gemacht hat, daß man öffentlich Frieden, Abrüstung und internationale Solidarität fordert. Dafür aktiv gewesen zu sein ist mein Anliegen und das all derer, die jetzt auf der Straße gewesen sind.

Manche halten sie für überflüssig, die Grünen-Bundestagsabgeordnete Andrea Fischer zum Beispiel. Sie findet, die Ostermarschkultur entspreche nicht mehr dem heutigen Stand der Friedensbewegung.

Wenn man das nicht für ein Erfordernis hält, auf die Straße zu gehen – gerade wenn man Grünen- Abgeordnete ist –, dann muß man wissen, daß diese parlamentarische Neuformulierung über die außerparlamentarischen Bewegungen ins Parlament hineingetragen wurde. Ich halte es nicht für klug, so zu reden.

Und es sind ausgerechnet Grüne, die Ihnen jetzt auch noch in den Rücken fallen!

Ja. Ich halte das aber nicht für eine tragbare Position, und übrigens gibt es auch noch eine Erklärung anderer Grüner, die das anders sehen.

Haben Sie schon mal über andere Protestformen nachgedacht?

Die Ostermärsche waren immer eine regionale Institution. Es gab nie eine zentrale Direktive, die gesagt hat, jetzt müßt ihr aber Ostermärsche mit den und den Inhalten absolvieren.

Wissen Sie schon, unter welchem Motto Sie Ostern 1996 marschieren?

Nein, wir werden 1996 diskutieren, ob und wo und mit welchen Inhalten demonstriert wird. Die Stimmung ist aber so, daß wir auch im nächsten Jahr für unsere Positionen auf die Straße gehen müssen.

Sie bleiben also dabei: Immer wieder Ostern?

Wir fühlen uns nicht verpflichtet, eine historische Tradition zwanghaft weiterzumachen. Man muß überlegen, ob diese Aktion noch Sinn macht und wir noch Friedensaktive finden. Interview: Thorsten Schmitz