piwik no script img

Hairstyling & Quarantäne Von Andrea Böhm

Nachdem die Republikaner in Washington anläßlich der ersten 100 Tage ihrer „Amtszeit“ Kübel des Eigenlobs über sich ausgegossen haben und das Kapitol nach Ansicht der neuen Nemesis aller Linken, Newt Gingrich, nun im Mittelpunkt des Sonnensystems steht, ist es an der Zeit, das wahre Zentrum des Geschehens in den USA zu verorten: der Gerichtssaal in Los Angeles, in dem seit ewigen Zeiten und ohne absehbares Ende gegen O.J. Simpson verhandelt wird. So mancher TV-Zuschauer dürfte mittlerweile vergessen haben, wie die Anklage lautet.

Doch das ändert nichts an der Tatsache, daß das Gesicht von Richter Lance Ito in den USA weitaus bekannter ist als das von Newt Gingrich und sich die Amerikaner weitaus mehr für das Outfit von Staatsanwältin Marcia Clark interessieren als für den neuesten Imagewechsel von Hillary Clinton. In der letzten Woche wurden Los Angeles und die Nation von Schlagzeilen über Marcia Clarks Kopf und ihren Ehemann beherrscht: Erstere erhielt einen neuen Haarschnitt für 150 Dollar, wie die Presse schnell herausfand. PsychoanalytikerInnen im ganzen Land gratulierten zum neuen Hairstyling, weil es die „starke“ Staatsanwältin „femininer“ mache. Letzterer klagte öffentlich, daß er das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder haben möchte, weil seine Ex-Gattin mehr mit ihrer Karriere als mit der Kindererziehung beschäftigt sei.

Für die größte Aufregung in der „O.-J.-Simpson-Saga“ aber sorgen derzeit die, die man im Fernsehen gar nicht sehen kann: die Geschworenen. Eine Geschworene, die unlängst vom Prozeß ausgeschlossen wurde, packte gewinnträchtig in Talk-Shows aus und erzählte der TV-Nation, daß sich die verbleibenden Mitglieder der Jury nicht riechen können. Genauer gesagt: Die Weißen mögen die Schwarzen nicht – und vice versa. Die Betroffenen selbst wissen nicht, daß derzeit über sie geredet wird. Denn Richter Ito möchte eine „Jury immaculata“ – völlig unvoreingenommen und unbeeinflußt. Auf seine Anordnung werden die zwölf Geschworenen seit Monaten abgeschottet, dürfen keine Nachrichten sehen oder Zeitungen lesen, in denen der O.-J.- Simpson-Prozeß erwähnt wird, was so ziemlich auf alle Zeitungen und Fernsehprogramme zutrifft. Mit Ausnahme des „Weather Channels“ und des „Home Shopping“-Kanals. Unter Aufsicht dürfen sie mit der Außenwelt telefonieren, aber kein Wort über den Prozeß verlieren, über den sie auch mit anderen Geschworenen nicht reden dürfen. Kein Wunder, daß da die Nerven flattern. Kein Wunder auch, daß bei einigen die Aufmerksamkeit nach stundenlangen Ausführungen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft über DNA-Proben am Ende ist: Hin und wieder legt ein Geschworener im Gerichtssaal ein Nickerchen ein – und träumt vermutlich vom Leben in Freiheit.

Und draußen tut sich einiges, was amüsanter ist als der Quarantänealltag im Schatten von Justitia. Letzte Woche kreiste ein Hobbypilot über der Stadt, um der Staatsanwältin einen Antrag zu machen. „Marcia, du siehst toll aus. Willst du mit mir ausgehen?“ Dank der gierig gen Himmel gerichteten Kameralinsen bekam der Mann gratis Sendezeit für seine Kontaktanzeige. Die Staatsanwältin nahm's kommentarlos zur Kenntnis.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen