Test the West

■ Die Wüste lebt (7/ Schluß). Die Freie Theaterszene jagt nach Förderung und Sponsoring

Längst sind die goldenen Zeiten der Subventionskultur aus den 80ern vorbei. Der eiserne Besen der Sparpolitik fegte auch in Bremen die letzten Ecken der Alternativ-Szene stubenrein. Das neue Zauberwort heißt Sponsoring. Aber ist es mehr als ein Trostpflaster geboren aus spitzwegschem Konservatismus? Welchen Effekt haben Subventionen auf die freie Szene? Wer kriegt was und wie? Und wie transformiert man Geld, ob öffentlich oder privat, in künstlerische Energie? Eine Off-Theaterinszenierung läßt sich nicht hinter dem Schreibtisch eines Bankdirektors aufhängen. In der Ära Trüpel ist das Schicksal von drei freien Bremer Theatern exemplarisch für die Szene. Die Bremer Shakespeare Company schlummert auf dem Subventionskissen. Das unabgepolsterte Junge Theater tritt hektisch in die Pedale der Produktionsmaschinerie. Und im Freiraumtheater mußte man im letzten Jahr Konkurs anmelden.

Zur Einschätzung der Relationen: das große Bremer Theater, ein Betrieb mit fast 500 Angestellten hat in diesem Jahr statt 40 Millionen Mark nur noch 38 Millionen zur Verfügung. Die eingesparten zwei Millionen, so rechnet Intendant Klaus Pierwoß vor, seien im wesentlichen der freien Szene zugute gekommen. Und in der Tat hat man im Kulturressort in diesem Jahr höhere Summen verteilt. Allen voran an die Bremer Shakespeare Company.

Zwölf Jahre nach ihrer Gründung, von denen sie die ersten sieben ohne einen Pfennig Subventionen überstanden hat, ist die Gruppe nun mit 900 000 Mark Förderung, dem Höchstbetrag für freie Gruppen in Bremen, von Helga Trüpel belohnt worden. In den letzten vier Jahren ist die Fördersumme von 475 000 Mark auf das Doppelte gestiegen. Und der Output? Wurde die Zahl der Premieren auch verdoppelt? Bei der Shakespeare Company hat man sich entschlossen jetzt den Mann aus der Versicherungswerbung beim Wort zu nehmen. „Denken Sie an Ihre Altersversorgung!“ Aber was ist mit dem Hier und Jetzt? Seit Mitte 1994 ging genau zweimal der Premierenvorhang hoch. Dabei haben sich insgesammt zwei einsame Schauspieler auf der Bühne gezeigt. Herrscht Personalmangel am Leibnizplatz? Wohl kaum. Was in der Gründungsphase mit sieben Schauspielern zu bewältigen war, dafür sind jetzt 32 feste Stellen nötig. Auch sonst ist man in die Breite gegangen, man wiederholt – bis die Jubiläen zweistellig werden. Da geht der Paula-Becker-Modersohn-Abend, mittlerweile zum 175. Mal über die Bühne, unverändert seit 10 Jahren. „Wir sind nicht gerade Premieren orientiert“ räumt Nobert Kentrup, Schauspieler und Gründungsmitglied der Bremer Shakespeare Company ein. Aber es sei von Anfang an so gewesen, daß der Mensch als solcher und die Arbeitsbedingungen des Schauspielers, und nicht die schnelle Produktion im Zentrum der Arbeit gestanden hätten. Das habe also nichts mit dem neuen Geldsegen zu tun. Aber erst jetzt könne man den SchauspielerInnen gute Arbeitsbedingungen für die Zukunft bieten. Da stellt sich 12 Jahre nach der Gründung auch die Frage nach der Rente. Hier findet die gestiegene Förderung ihre Verwendung. Bremens älteste Gruppe investiert schwerpunktmäßig in Löhne und Gagen für die MitarbeiterInnen und vor allem ins Altersruhegeld. „Wie sollen die denn überleben, wenn sie schon jetzt als vollen Lohn nur 2000 Mark nach Hause tragen“, sorgt sich Norbert Kentrup.

Eine völlig andere Generation von Theaterleuten repräsentiert das Junge Theater. „Wir waren eine Gruppe von durchgeknallten Zwanzigjährigen. Ernstgenommen hat uns keiner“, erinnert sich Carsten Werner an die Gründungszeit vor zwei Jahren, als die Gruppe sich aus dem Jugendclub des Bremer Theaters rekrutierte. Von der Kulturbehörde bekamen sie nicht eine müde Mark Förderung. Mittlerweile genießt das Junge Theater den größten Respekt, wird als die interessanteste Neuentwicklung in der Bremer freien Szenen gefeiert. Wie kam es zu dieser Erfolgsstory? „Wir haben von Anfang an Sponsoren gesucht und auch keine Berührungsängste gehabt. Der Tischler von nebenan, Horten und ein Autohändler, alles haben wir versucht.“ Im letzten Jahr wurde diese Hartnäckigkeit belohnt. Die Zigarettenmarke West machte für ein Jahr 30 000 Mark locker. „Wir haben zwar kein Stück verändert und Szenen mit Zigaretten erfunden, aber wenn es welche gab, haben wir natürlich West geraucht. Damit kann ich leben.“ Den Betrag wußte das Junge Theater offensichtlich effizient einzusetzen. Allein 20 Eigenproduktionen sind in den letzten zwei Jahren über die Bühne der Friesenstraße gegangen. Gemischt wird das Selbstgestrickte mit einem Spielplan in dem mittlerweile hochkarätige Gastspiele dominieren. „Als wir hier in dem alten Apothekenlager anfingen hatten wir ein Ziel. Tim Fischer und Harald Juhnke sollten hier mal spielen.“ Von diesem Wunschtraum ist man nicht mehr weit entfernt. Eines verregneten Frühlingsmorgens stand Tim Fischer plötzlich im Büro – auf der Suche nach einer Auftrittsmöglichkeit in Bremen. Jetzt verknüpft sich die Karriere des erfolgreichen Chansonnier mit der des Jungen Theaters. Bei jedem Gastspiel in Bremen füllt Tim Fischer die Säle. Auf Harald Juhnke wartet man zwar noch, aber bei dem Aufwind der in der Friesenstraße weht, hält man das nur für eine Frage der Zeit. Und wer bei dem gegenwärtigen Kleinkunstboom einen Tim Fischer im Programm hat, braucht sich nicht endlos zu grämen, wenn West jetzt andere testet. Das Schöne am Erfolg ist schließlich, daß er öffentlich ist.

Das mußte man auch in der Behörde zur Kenntnis nehmen. Nachdem die Jungen vom Jungen Theater es aus eigener Kraft geschafft haben, Sponsoren und erfolgreiche Künstler überzeugen konnten, gibt's auch öffentliches Geld. 50 000 Mark sind vorgesehen. Allerdings wird der Betrag noch nicht als feste institutionelle Förderung vergeben. Man will nicht zu früh Verbindlichkeiten schaffen.

Dies ist die Politik in der Kulturbehörde. Dort fördert man mit Zeitverzögerung und scheut das Risiko. Bei der Shakespeare Company waren es sieben Jahre, das Junge Theater mußte zwei Jahre warten und im Fall des Freiraumtheaters kam man zu spät.

Außer der institutionellen Förderung, bei der auch Schnürschuh-, Ernst-Waldau- und Packhaustheater bedacht werden, ist im Theaterreferat nicht viel zu erben. Projektmittelförderung, wie es sie in anderen Städten gibt, um die zarten Pflänzchen der freien Szene zu stützen, in Bremen ist da nichts zu verteilen. 100 000 Mark stehen für die Bremer Theatermacher bereit. Darauf haben sich im letzten Jahr 20 Gruppen beworben, die 600 000 Mark Bedarf anmeldeten. Ob der Betrag ausreicht? Sachbearbeiter Dieter Lankenau ist seit 10 Jahren Fachmann für Theaterförderung. Zwar kann er sich auf Befragen nicht erinnern, wann er zum letzten Mal im Theater war, aber daß das Geld nicht reicht, weiß er auch so: „Der Anspruch, an die Kulturbehörde daß sie auch den Wegfall der ABM-Mittel auffängt, ist zu hoch. Das können wir nicht leisten.“

Die Vorwürfe, die Jürgen Müller-Othzen vom Freiraumtheater gegen das Kulturressort erhebt, sprechen eine andere Sprache, die Förderung habe versagt, ihre Aufgabe, Gewachsenes zu schützen vernachlässigt. „Daß wir im letzten Jahr das Freiraumtheater schließen mußten, das ist die Schuld der Kulturbehörde.“ Jürgen Müller-Othzen hatte in zehn Jahren mit dem Freiraumtheater einen florierenden Betrieb aufgebaut. Mit einer Mischung aus Schauspielunterricht und Workshopangebot und einem zusätzlichen Gastspielbetrieb hatte man einen Jahresumsatz von 1 Millionen Mark erreicht. Getragen allerdings wurde der Betrieb nicht nur von den Einspielergebnissen und Einnahmen aus den Work-shops sondern auch durch zwei ABM-Stellen. Die fielen weg, und plötzlich entstand ein Haushaltsdefizit von 300 000 Mark. Als der Fehlbetrag in der Kulturbehörde beantragt wurde, habe es durchaus eine mündliche Absichtserklärung gegeben, dann eine Hinhaltetaktik über Monate und schließlich im Februar 94 kam der Beschluß wie ein Fallbeil: kein Geld. „Wir mußten sofort Konkurs anmelden.“ Theatermacher Müller-Othzen empört sich noch heute, daß dem Freiraumtheater die Fördermittel zur Fortsetzung der Arbeit verweigert wurden. „Angesicht der kulturpolitischen Lage sich hier auf Jahre festzulegen, daß scheint mir mittlerweile künstlerischer Selbstmord.“

Susanne Raubold