„Baba“ und die 150 Räuber

■ Indien: Auf der Geburtstagsfeier für einen Friedensapostel entsteht unversehens so etwas wie eine Banditen-Gewerkschaft

Delhi (taz) – Über 150 Räuber, viele von ihnen schwer bewaffnet, bewegten sich am 14. April, aus allen Richtungen kommend, auf ein Dorf südlich von Agra zu – und feierten dort den hundertsten Geburtstag des Friedensapostels Vinoba Bhave. Während zwei Tagen saßen sie unter einem offenen Zelt im Garten der „Gandhi Peace Foundation“ von Joura, das mitten in dem durch Erosion zerklüfteten Tal des Chambal-Flusses liegt, streichelten ihre Schnauzbärte und Gewehrläufe und ehrten ihren „Baba“.

Vor dreißig Jahren war Vinoba Bhave, dessen „Sarvodaya“-Bewegung reiche Bauern zur Übergabe ihres Landes bewegte, um dieses dann an landlose Bauern zu verteilen, ins Chambal-Tal gekommen. Mit Unterstützung der Regierung gelang es ihm, zahlreiche „Dacoits“ zur Aufgabe ihres Banditenlebens zu bewegen. Sie sollten straffrei ausgehen, die Regierung würde Land und Schulen zur Verfügung stellen. Bhave und aufgeklärte Administratoren taten dies aus der Einsicht heraus, daß die meisten Dacoits nicht Kriminelle, sondern Opfer eines Systems waren, in dem die wirtschaftlich Mächtigen eines Dorfes meist auch öffentliche Ämter besetzten und diese mißbrauchten, um weniger Mächtigen ihren Besitz abzuluchsen. Der einzige Rechtsweg blieb dann meist die Selbstjustiz – und dann die Flucht in die zerklüfteten Steinbrüche des Chambal-Tals.

Zu den Organisatoren der Geburtstagsfeier gehörte Tehsildar Singh, der sich Vinoba Bhave im Jahre 1972 ergeben hatte, nachdem er bereits 17 Jahre (von insgesamt 405) für über hundert Morde abgesessen und sich wieder einmal in die Chambal-Klüfte abgesetzt hatte.

Heute hat sich Tehsildar Singh zu einem Banditen-Philosophen entwickelt, der über die Dialektik von „Sukh“ und „Dukh“ – Glück und Schmerz – nachdenkt und seine Ex-Kollegen rauh anfährt, wenn sie sich über die falschen Versprechungen der Regierung ereifern: „Wenn du deinen Zorn immer noch nicht überwunden hast, dann beschuldige nicht die Regierung, sondern schau nach der Wurzel des Übels in dein Inneres.“

Dennoch mußten die Organisatoren in Joura zusehen, wie sich aus der Geburtstagsfeier so etwas wie eine Banditen-Gewerkschaft entwickelte. Zahlreiche Redner zogen über die Regierung her, die ihnen Land und Arbeit versprochen habe; bekommen hätten sie Geröllhalden, auf denen nichts wachse. Zwar gab es keine Stimmen, die für eine Rückkehr zur Gewehrkugel-Justiz plädierten, obwohl die meisten sich von ihren Flinten ebensowenig trennen können wie vom zweiten Männlichkeitssymbol, den weit ausladenden Schnurrbärten. Aber in demokratischer Manier wurde eine Delegation bestimmt, welche dem Chefminister des Bundesstaates Madhya Pradesh einen Forderungskatalog überbringen würde. Andere redeten bereits wie halbe Politiker und dachten an eine Wahlkandidatur. Bernard Imhasly