Tanz gegen die Erdanziehungskraft

■ Die Batsheva Dance Company aus Tel Aviv öffnete den Vorhang für die Israeltage

„Die Erdanziehungskraft ist ein Schock für uns Menschen, seit wir versuchen, aufrecht zu stehen“, sagt Ohad Naharin. Gerade dieses Handicap motiviert den Choreographen, sich den Kräften immer wieder auszusetzen, sie niederzutanzen oder sich ihnen unterzuordnen. In „Mabul“ (Sintflut), seiner jüngsten Choreographie, sind diese Kräfte zu spüren, sie sprengen die Gruppe, fügen sie wieder zusammen, lassen Paare entstehen und vereinzeln sie wieder. Eine Spannung zwischen Einheit und Abgrenzung, Ausbruch und Eingliederung. Mit dem getanzten Wechselspiel begeisterte die Batsheva Dance Company am Mittwoch abend das Bremer Publikum und eröffnete so die Israeltage der Stadt gleich mit einem tänzerischen Lichtblick.

Nach den obligatorischen Eröffnungsreden durch Bürgermeister Klaus Wedemeier und den israelischen Botschafter Avi Primor stellte die Compagnie eindrucksvoll unter Beweis, warum sie seit drei Jahrzehnten die führende Tanzgruppe Israels ist. Stand sie jahrelang in der direkten Tradition Martha Grahams, geht sie mit Ohad Naharin jetzt neue Wege.

Naharin selbst wurde noch von der Meisterin in Israel entdeckt und dann in den USA von ihr ausgebildet. Dort gründete er 1980 eine eigene Tanzgruppe, arbeitete aber auch mit dem Nederlands Dans Theater und Forsythes Frankfurter Ballett. Mittlerweile zählt er zu den gefragtesten Choreographen in Europa. In seinem jüngsten Stück „Mabul“ zeigt er die szenisch-theatralen Möglichkeiten des Tanzes, bereichert durch Sprache, Gesang und Musik.

Der Auftakt des Stückes wirkt jedoch zunächst eher unspektakulär. Eine Bühne wie aus einem schwarz-weiß-Film, im Hintergrund ein Thron, davor die TänzerInnen in schwarzer Kleidung, die sowohl mittelalterliche Corsagen zitiert wie auch die Hot Pants aus den 70ern. Zu hören sind Regentropfen und leise einsetzender Gesang. Die Bewegungen bleiben synchron bis das Muster durchbrochen wird. Naharin arbeitet mit einem klassischem Thema des Tanztheaters und variiert es im Verlauf des Stückes: die Beziehung zwischen Individuum und Gruppe.

Dann geschieht Unerwartetes. Ein schriller Schrei läutet ein neues Tempo ein. Jazzmusik, freie Bewegungen, die TänzerInnen finden sich im lockeren Trab. Szenenwechsel, die folgenden Nummern könnten auch aus dem Theater stammen. Eine Tänzerin nach der anderen tritt nach vorne und schreit das Publikum an: Wut über Mißhandlungen, aufgestaute Verzweiflung über Verhöre, Erinnerungen an eklige Vorkommnisse, die ihre Spuren hinterlassen haben. Kaum versteht man, was hinter dem zornigen Gebrüll dieser Frauen steht, da werden sie von ihren Partnern in den Tanz zurückgerissen.

Doch die Variationsbreite der Compagnie erschöpft sich nicht in theatralischen Elementen. Aus einfachem Rhythmusklopfen entwickelt sich eine Percussioneinlage, die nur den eigenen Körper als Resonanzraum nutzt, dumpfe Schläge auf der Brust und schnelle Klatscher auf die Schenkeln ersetzen ein ganzes Orchester. Dazu stimmen die TänzerInnen einen A-cappella-Gesang an, harmonisch runde Melodiebögen, die an einfache Volkslieder erinnern. Da ließ sich sogar das spröde Bremer Publikum zu Szenenapplaus hinreißen.

Besonderen Anklang fand das 15. Kompagniemitglied - eine weiße Ratte. Lange tanzte sie geduldig den Pas de Deux mit ihrem Partner und trippelte elegant über Schultern und Arme, sprang graziös auf seine Oberschenkel, um sich dann doch in schneller Flucht hinter die Kulissen zu retten. Das flitzende weiße Fellknäuel brach auch die letzten Hürden und verhalf der Batsheva Dance Company zu minutenlangen stehenden Ovationen des Publikums.

Gudrun Kaatz