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Risse zwischen Video und Telefon

■ Fast schon ein Hausautor des Stükke-Theaters: David Greenspans „Heimspiele“

David Greenspan ist kein Geschichtenerzähler, seine Stücke sind Stückwerk. Nie fügen sich die szenischen Fragmente glatt zusammen, vergeblich bemühen sich die Figuren, ihr brüchiges Dasein zu einem sinnvollen Lebensweg zusammenzuflicken. Durch krankhafte Geschwätzigkeit versuchen sie sich von der tiefen Kluft abzulenken, die sie von ihren Mitmenschen und ihrer jüdischen Tradition trennt – ein Selbstbetrug von greller, verzweifelter Komik.

Seit das auf Erstaufführungen angloamerikanischer Dramatiker spezialisierte Stükke-Theater vor zwei Jahren eröffnete, ist David Greenspan so etwas wie ein Hausautor. „Ich liebe seine Texte, weil sie so schwer zu bebildern sind, weil Theater an die Grenze des Darstellbaren getrieben wird“, sagt der künstlerische Leiter Donald Berkenhoff. An den Landesbühnen in Niedersachsen, wo der 43jährige mit Gastregien seine Brötchen verdient, haben die Off- Broadway-Stücke keine Chance: für Abonnenten unzumutbar.

Nach Greenspans „Tote Mutter oder Shirley nicht alles umsonst“ und „Ein Hund in der Tanzstunde“ läuft jetzt die deutsche Erstaufführung von „Home Show Pieces“. Vier kurze Episoden kreisen um fünf Figuren: einen erfolglosen Theaterautor, seinen Geliebten, seine Tante und zwei Schauspieler. Dieselbe Figur wird von verschiedenen SchauspielerInnen gespielt, umgekehrt schlüpft jede/r SchauspielerIn in mehrere Rollen. Erst im vierten Teil schälen sich die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Szenen heraus.

Die „Heimspiele“ springen munter zwischen den Wirklichkeitsebenen hin und her: SchauspielerInnen spielen SchauspielerInnen und erzählen von einem Stück, das teilweise identisch ist mit dem, in dem sie auftreten. Sie lästern über ihre Rollen und raten dem Publikum: „Wenn jemand gehen will, dann kann er jetzt gehn.“

Donald Berkenhoff hat die vielfältigen Brechungen und Verfremdungen in seiner Inszenierung noch verstärkt. Eine zusätzliche Figur (Xenia Fitzner) liest Greenspans Regieanweisungen laut vor und filmt die anderen Darsteller mit der Videokamera. Zwei Monitore an den Seiten der Bühne zeigen die KünstlerInnengarderobe, alternative Bühnenbilder und Nahaufnahmen von den nervös- zappeligen Bewegungen der Hauptfigur (Thomas Reisinger). In „Sei ein Tier“ liegt ein dichtender Schauspieler onanierend im Bett, wird aber ständig durch das klingelnde Telefon unterbrochen. Hektisch plappert er in den Hörer und bleibt doch nach jedem Gespräch ein bißchen einsamer zurück.

Lisa Adler spielt eine überdrehte Schauspielerin, die sich bei einem Kollegen (Michael Sideris) über ein Stück beschwert, weil es rücksichtslos mit der Familie abrechne. Aber ihre hysterische Ablehnung verrät, wie stark das Thema sie selbst betrifft. Im dritten Teil sitzt der Dichter auf dem Klo und phantasiert von einer Zukunft als gefeierter Starautor, während sein Geliebter die abgelehnten Manuskripte aus dem Briefkasten holt. Die komischen Dialoge zwischen ihm, der nur als Filmgestalt auf dem Monitor über der Toilette auftaucht, und dem Dichter werden – natürlich – von Telefongeklingel unterbrochen.

In der letzten Episode telefoniert die Hauptfigur mit einer alten Tante und träumt von einer harmonischen Großfamilie, die eng beieinander wohnt. Die Sehnsucht nach Geborgenheit und das skeptische Wissen um ihre Vergeblichkeit hat Berkenhoff bildkräftig in Szene gesetzt: Der Dichter ist in zwei Personen aufgespalten. Passah-Kerzen werden angezündet, rituelle jüdische Gesänge erklingen. Aber die Untertöne des banalen Gesprächs lassen keinen Zweifel daran, daß die Familie zerbrochen und die jüdische Tradition inhaltslos geworden ist. Nach und nach stellen die Schauspieler immer mehr leere Stühle um den Tisch. Dann verlöschen die Kerzen. Miriam Hoffmeyer

Bis 27. 5., Fr.–Di., 20.30 Uhr, Stükke-Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg

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