„Wer am besten verteidigt, gewinnt“

Weil das Niveau ohne NHL-Spieler sinkt, hat Bundestrainer Kingston alle Chancen, bei der morgen beginnenden Eishockey-WM in Schweden sein Ziel „Platz sechs“ zu realisieren  ■ Von Peter Unfried

Berlin (taz) – Hat sich irgend etwas verändert, seit die deutsche Eishockey-Auswahl unter allgemeinem Höhnen der beleidigten sogenannten Fachpresse aus Bozen davongeschlichen ist, vergangenen April? Natürlich hat sich das, handelsüblich. Den Ludek Bukac (60) hat man zum Rücktritt bewegt und dafür im Sommer nicht irgend jemanden, sondern George Kingston (55), den vormaligen Trainer des kanadischen Weltmeisterteams, engagiert. Der Kanadier, Doktor der Eishockey-Philosophie wie sein Vorgänger, doch erheblich medienkompatibler als der gern beleidigte Prager, hat sich nun an das gemacht, was einst der Vorgänger, der Vorvorgänger und so weiter unternommen hatten: Etablierung des nationalen Teams in der internationalen Spitze.

Nun muß man sagen, daß keiner so nahe dran war wie Bukac, der vor zwei Jahren in Dortmund und München tatsächliche Euphorie entfacht hatte, ein gutes Team prima Spiele auf prima Niveau abliefern ließ und am Ende schlicht das Pech hatte, im Play-off auf die Russen zu treffen. Egal: Platz fünf, so rechneten damals flink Bukac und Adjutant Reindl aus, so gut war'n wir nie! Was zur Folge hatte, daß die Juornalisten nach dem frühen Aus in Südtirol ihre eigene Rechnung auftischten: Platz neun, so schlecht war'n wir noch nie! Jedenfalls nicht seit 1976. Bukac weg also, der das Pech hatte, nicht nur aussortiert zu haben, sondern auch einige wichtige Spieler wegen Verletzungen aussortieren zu müssen. Aber andererseits auch Bukacs Problem: Warum hatte er keine anderen herangeführt?

Haben er und Kompagnon Reindl probiert und probt nun auch George Kingston wieder heftig. Sieben vorläufige Teams hat er zusammengestellt, seit er Anfang April mit den ersten Play-off-Opfern das Üben begonnen hat, hat dabei nach „Herz-Riesen“ Ausschau gehalten: „begabte Spieler, die Größe, Herz und Kampfmoral“ einbringen, kurz: „Spieler, die den Unterschied ausmachen“. Ist freilich dabei an die selben Grenzen gestoßen wie seine Vorgänger: Es gibt so viele nicht, die dem Steckbrief entsprechen.

Dennoch hat er, nachdem von seinen ersten sieben Spielen sechs verlorengegangen waren, Ende der Woche zum erstenmal so richtig Bestätigung qua Ergebnis erhalten: 3:2 gegen Vizeweltmeister Finnland in Turku gewonnen – das, hat Kingston gesagt, zeige, „daß meine Mannschaft auch gegen große Nationen siegen kann“. Das ganze Sichten und Schauen und Üben sei „wie ein Hausbau“ und er nun nach eigener Meinung beim Richtfest angekommen, jedenfalls „schon ganz schön weit“.

Immerhin, die 23 Gesuchten hat er zusammen, und wenn alles gesund bleibt, „wird es keine Änderungen mehr geben“ (Kingston). Es sei denn, Stürmer Georg Franz falle noch aus und gleichzeitig bekomme Jürgen Rumrichs Frau zügig ihr Kind. Ein ganzer Schwarm neuer Kräfte ist drin, die Verteidiger Nowak (Schwenningen), Wieland (Rosenheim), Zywitza (Augsburg) haben den Trainern so gut gefallen, daß man kurz damit liebäugelte, gar den Kapitän Uli Hiemer (32) wegen Geschwindigkeitsunterschreitung zu versenden, jetzt ist der NHL-erfahrene doch dabei. Nicht aber die Möchtegern-NHL- Stürmer Jan Benda (22, Richmond) und Stefan Ustorf (23, Portland) wegen IHL-Verpflichtungen. Und im zweiten Jahr fehlt auch Dieter Hegen (32) und damit immer noch das eine oder andere Tor. 96 hat er in nationalem Einsatz erzielt, doch nach Außenbandabriß im Knie verlor er Form und Kraft, so daß Kingston „konditionell niedrigen Level“ konstatieren mußte und sagte: „Pech für ihn.“ Leicht gesagt, die schlechte Ausgangsposition ist eine glänzende für Kingston. Erstens: Schlechter kann er kaum abschneiden. Zweitens: Die Gruppengegner Frankreich, Italien, Schweiz (neben Rußland und Kanada) sind so erschreckend nicht. Und – das kommt dem Sport, nicht aber Kingston gänzlich ungelegen – es werden zum erstenmal seit 1976 keine NHL-Profis peu a peu anreisen und so die Gegner immer stärker, nachdem der Streik die Punktrunde bis zum 3. Mai hinausgezögert hat. „Wir werden“, sagt Kingston, „dennoch eine gute WM erleben.“ Seit Turku ist ihm auch wohler beim obligatorischen „Wir wollen unter die ersten Sechs“.

Das haben auch Bukac und Reindl selig stets von sich gegeben: Erst in die Play-offs, und dann muß man sehen. Also, Sonntag mittag geht's gegen Frankreich los, und da gilt wie in jeder Partie internationales Recht: Wer keine Fehler macht, wer keine gegnerischen Chancen zuläßt, „wer am besten defensiv spielt, gewinnt“ (Kingston). Das war auch in der Vergangenheit schon so. Und unwahrscheinlich die Änderung, daß dies demnächst öfter mal die Deutschen sein werden.