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Ein Loch, das stinkt und glänzt

Unart als Exempel, Dilettanz, gekonnt: Witwe Courtney Love und ihre Band „Hole“ in Berlin  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Sie ist für mich das Mädchen aus dem Pynchonroman, das sich einredet, keine Chance gehabt zu haben und von aller Welt verstoßen zu sein; und dann rächt sie sich, indem sie sich am Strand amüsiert und mit Autos rumfährt und laute Musik macht. Etwas ganz Ungewöhnliches, was niemand vorher getan hat. Ganz entfremdet sein, damit alle verstehen, wie übel einem mitgespielt worden ist.

Das Unartige als Exempel, das ist die Rolle von Courtney Love. Am Ende ihres Berliner Konzerts fragt sie, welche deutschen Girlie- Bands es gebe, und als Antwort steht dann plötzlich ein Mädchen mit rotgefärbten oder roten Haaren auf der Bühne, ein wenig klobig in ihrem grünen T-Shirt, und läßt sich von Love etwas zeigen, was sie auch nicht kann, nämlich Gitarre spielen. Unser Star aus Seattle vergißt nicht zu erwähnen, daß es doch ganz einfach ist. Spätestens dann haben wir kapiert, daß es überhaupt nicht einfach ist, weil den Medien das Mädchen mit den rotgefärbten Haaren für immer egal sein wird, während die Frau mit den blondgefärbten Haaren ihre Spur in das Kartell, das angeblich eines der Männer ist, schon eingeritzt hat. Sie ist, die selbstannoncierte Schlampe, auf der Höhe ihrer Zeit. Es ist ein Vergnügen, sie zu sehen.

„Love is a perfect imperfection“, hat Lowell George gesungen, und ohne daß er es zu seiner Zeit hat wissen können, hat er recht behalten. Sie macht die kaputte Diva, und ihre Band macht mit. Sie trägt ein Seidenkostüm, dessen Erscheinen in „Prêt-à-porter“ den Film erledigt hätte. Zerzaust und bleich und mit Himbeermund ist sie mehr Vampir als Vamp, und die große Geste des Abends besteht darin, den linken Fuß auf den Bühnenlautsprecher zu stellen, und zwar schuhlos, soweit ich das erkennen konnte. Ihr Bein lag dann bis weit oben frei, und ja, es kamen Zweifel auf. Fuck you, muß das Publikum bei Mitte des Konzerts rufen, das ist ein Wort mehr als vor fünfundzwanzig Jahren bei Country Joe.

Die Kunst, auf der Basis von drei Akkorden Songs zu spielen, die klingen, als seien sie die Überwindung der Zwölftonmusik, hat man vor neunzehn oder zwanzig Jahren Punk genannt; und das ist doch kein schlechtes Wort. In der amerikanischen Sprachgeschichte meint es jeden halbweisen oder halbwaisen Weißen, der etwas Bestimmtes unbedingt gewollt und etwas noch Bestimmteres unbedingt verbockt hat. „Everytime you punk, you're gonna get the same“, heißt es unter einem Foto von Larry Clark, das jemanden mit schwer blaugeschlagenen Augen zeigt.

Ein masochistisches Ritual, öffentlich roh und ungelenk, einfallslos und laut zu sein. Da werden die Gitarren bei aufgedrehtem Verstärker eingestöpselt, da türmen sich sinkende Akkorde zu dissonanten Ungeheuern, da fällt jeder Song von der langsamen Geschwindigkeit in die schnelle oder andersherum. Allein wie die Band auf die Bühne kommt: bei laufender Playbackbedröhnung. Glaubt bloß nicht, das wäre Weihnachten oder sowas.

Die „Dilettanz“ wird mit aller Macht choreographiert: Höhepunkte sind bestenfalls ein Wink des Schicksals. Manche der Songs enden in reiner Ratlosigkeit. Die Faser gerissen, ein unscharfes Knäuel: Einmal gelingt das Ding, die Leute jubeln nicht. Sie träumen; die Katharsis hat begonnen.

Unter einer Lichtregie mit knapp sechzig wunderbar simplen (unbeweglichen) Scheinwerfern durchschreiten wir die Sozialgeschichte der Keller, der Klubs und der Höhlen; die Bierschwemme, den Wandschimmel und den Managerbeschiß. Die Geschichte des Punk, der sich auswächst zur Independent-Industrie. Aber nur scheinbar ist die Richtung Seattle. Von London, wo alles anfing, sacken wir unmerklich zurück ins Psychedelische, bis wir bei den schleppenden Klagen mit fast synchron geführtem Quartgesang angekommen sind: San Francisco, Regen, Acid, Vietnam. Die Band steht im blauen Licht, und das Publikum wird mit rotem geblendet. Es gibt nur einen Moment, wo Courtney Love ein Grinsen erwischt, das nicht höllisch ist: In einem aus dem Repertoire von Nirvana übernommenem Song bei dem Wort „heroine“. Die Heldin – oder der Stoff, den sie sich zuführt.

Die Bassistin wird namentlich erwähnt, Schlagzeuger und Gitarrist bleiben im Sklavenstand, wie andere andernorts auch. Und wie der Junge, der Love die frischgestimmten Gitarren stimmt, von denen sie mehr Gebrauch macht als nötig, ein Hauch von Fake. Sie ist einfach eine tolle Performerin, die das Off-Timing bestens im Griff hat, genau wie die Rücknahme der Stimme ins Sprechen, das Ausbrechen in die Arie, die technisch wirkenden Defekte in der Tonhöhe. „A subtle plague“, steht auf dem T-Shirt eines Besuchers. Der Radius des Zeltes, das Tempodrom heißt, ist fast schon zu groß für diese Band. Am Rande des Feedbacks lebt sie musikalisch von der Hand in den Mund.

Gewissermaßen als Ironiker der Verzweiflung unter uns kann es dann nicht ernsthaft schaden, daß Courtney Love unverständliche Dinge von sich gibt über „Kurt“, über Männer und irgendein Gequake über das Deutsche und das Jüdische und beides in ihr. Leider haben wir auch heute abend gar keine Neonazis vorzuweisen. Nur eine astreine in crowd, von elfjährigen Mädchen mit dünnen Zöpfen bis zu Szenetypen mit Augen, die jeden Schrecken kennen und keinen benennen können. Vorn tobt sich der harte Kern in Richtung Ohnmacht, während man sich hinten – falls jemand getreten wurde – lächelnd entschuldigt. Die Lektion, die Courtney Love bereithält, ist nicht von schlichten Eltern.

Ein lebendes Töchterchen und ein Mann, der verendet ist; so etwas hat Madonna nicht zu bieten. Courtney Loves Energie reibt sich am symbolischen Kern, der Familie, deren Ende sie darstellt. „Are you gonna watch me while I drown“ ist hier gewissermaßen die Vertrauensfrage. Die Band „Hole“ ist die Lupe auf der Wunde; ein Loch, das stinkt und glänzt.

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