Berliner Tagebuch
: Karstadt geplündert

■ Berlin vor der Befreiung: 25. April 1945

Foto: J. Chaldej / Voller Ernst

Karstadt wird ausgeplündert. Ungeachtet der sausenden und krepierenden Granaten stürmen die Menschen in hellen Haufen heran, wobei mancher sein Leben auf der Straße aushauchte. Ich stand einigermaßen gedeckt im Hauseingang und habe vieles beobachtet. Annemarie lief mit einem Eimer und einer Milchkanne zu einer Schokoladenfabrik in der Urbanstraße, wo unsere Soldaten aus großen Fässern kondensierte Milch, Mandeln, Nüsse, Marzipan und Nougat verteilten. Der Beschuß ging indessen feste weiter, und wir bangten schon um Annis Leben. Plötzlich kam sie wie ein Hase über Trümmer und Trichter angesprungen, in den Händen die gefüllten Gefäße. Atemlos taumelte sie in den Keller. Ein „Hoch“ unserer tapferen Tochter, die uns mit diesem Stückchen auf Wochen hinaus mit Milch versorgt hat. Robert schleckerte gleich eine volle Tasse davon aus, und auch ich habe ordentlich mal gekostet. Ein kleiner Ausgleich für alle ausgestandenen Ängste, Nöte und Entbehrungen. Hugo B.

Zitiert nach: I. Hammer/S. zur Nieden (Hrsg.): „Sehr selten habe ich geweint“. Zürich 1992. Hugo B. war Uniformschneider in Neukölln.

Recherche: Jürgen Karwelat